Historienbild.
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sich mit einem Vorwurf, so können wir auch verlangen, dass er die be-
sonderen Studien macht, welche zum Verständniss seines Werkes noth-
wendig sind. Andernfalls giebt er ein Idcenbild, kein historisches Ge-
mälde. Darum aber soll er noch kein Antiquar, kein Archäolog werden und
seine Zeit nicht unnütz an Kleinigkeiten verschwenden, die doch nicht in
Betracht kommen. Es geht ihm wie dem Dichter. Der Geist der Sache
ist für das Werk die Hauptsache; das Detail lässt sich doch nicht genau
construiren und selbst wenn man es bis auf die Litzen des Kleides treu
wiedergeben könnte, so käme sehr wenig darauf au. Vermag der
Künstler es, gut, aber hat er Zeit und Mühe darauf verschwendet, so
war es sein Schaden und uns ist nicht viel genützt. Es möge hier in
Bezug auf historische Treue ein Wort von Lewis bei Gelegenheit von
Göthe's Götz von Berlichingen stehen: „Ja, einige Kritiker sind von der
Bedeutung derselben so überzeugt, dass sie mit allen erdenklichen Re-
densarten zu beweisen suchen, auch Shakespeare sei gross in der Kunst
bestimmte Zeitalter zu malen, nur dass sie dabei ganz vergessen, dass
Localfarben für die Kritik und Gelehrsamkeit des Publikums, nicht für
das Herz und die Einbildungskraft sind, dass sie der Geschichte, nicht
dem Drama angehören. Selbst in einer Beutelperücke mit einem feinen
Galadegen an der Seite konnte Macbeth die Zuschauer erzittern machen
über das entsetzliche Verderben einer in Verbrechen verstrickten Seele,
und eine Verbesserung des Oostüms Würde diese Tragödie nicht ergrei-
fender machen, wäre die Welt nicht so überkritisch geworden und be-
stande da auf historischer Treue, wo in der wahren dramatischen Zeit
nur Leidenschaft verlangt wurde." Diese Worte bedürfen-keines Com-
mentars, um sie vom historischen Drama auf ein historisches Bild zu
übertragen. Andererseits wird man an der historischen Treue, wo ein
Hauptgewicht auf sie gelegt ist, sich sehr erfreuen, sobald sie glücklich
sich mit den Hauptanforderungen vereinigt. Im Allgemeinen lässt sich
keine andere Forderung aufstellen, als die der künstlerischen Wahrheit,
deren Momente wir zu Anfang des Capitels erörterten, und.muss man
eigentlich damit schliessen, dass deren Reich gross ist und Jeder auf
seine Weise versuchen soll, hineinzukommen. Man bedenke dabei, dass
für die Auffassung schon nach wenigen Jahren Dinge gar nicht in Be-
traeht kommen, die im Anfang sehr wichtig dünken. Wer sich heute
malen lasst, wird sich modern gekleidet zu sehen wünschen. Nach zehn
Jahren kommt es aber gar nicht mehr darauf an, ob die diesjährige oder
vorjahrige Mode dargestellt wurde und wer erst grollte, dass der Künst-
ler hinsichtlich der Mode sich Freiheiten nahm, wird ihm dann danken,
wenn er nicht die strieteste Kleiderordnung des Schneiders befolgte, son-
dern eine schönere Tracht wählte. Was so im Kleinen, gilt auch im
Grossen. Wen kümmert es nach zwanzig Jahren, dass ein bedeutender
Vorgang unter so steifen, langweiligen Formen geschah? Wer dankt ver-
nünftiger Weise dann dem Künstler dafür, dass er die Wirklichkeit