406
Die lkllalerei.
Scene, wie sie hundertfach vorgekommen und an sich ohne historische
Tragweite. Aber wenn wir nun dasselbe Fussvolk sehen, dazwischen
aber auf einem scheuenden Schimmel ein starrer Mann im grauen Rocke;
in die Zügel des Rosses fallen ihm Generale, die ihm Zurück! zurufen;
um ihn sinkende Grenadiere, nach ihm blickend so ist das Napoleon
und Waterloo; ein grosser geschichtlicher Moment ist vorgeführt. Auch
der einzelne bedeutende Mensch giebt, richtig dargestellt, ein Historien-
bild, nicht bloss ein Portrait. Julius II. ist seine Zeit; Karl I. von
Van Dyk, Napoleon abdankend von Paul Delaroche, geben, jener ruhig,
dieser in einem dramatischen Augenblicke erfasst, der Eine gleichsam
eine geschichtliche Biographie, der Andere einen geschichtlich drama-
tischen Höhepunkt. In dieser Weise wird nicht bloss das Portrait, son-
dern auch das Genrebild in das Geschichtsbild hineingezogen; das Bild
der blühenden Töchter des Palma Vecchio (Fig 53) wird zu einem Ab-
riss aus der Culturgeschichte, in welchem uns das frohe, glänzende
Norditalien jener Tage entgegentritt. Das Geschichtsbild selber kann
durch eine allgemeine Behandlung, in der das Persönliche soviel wie
möglich zurücktritt, zu einem Tdeenbilde werden, wofür man nur an eine
Konstantinsschlacht oder an Kaulbachs Jerusalem zu erinnern braucht.
Wie das Genrebild zum Ideenbilde wird, dafür habe ich schon auf eine
Madonna della Sedia hingewiesen, das können auch die Darstellungen
der heiligen Familie von Rembrandt lehren, all' der Maler-werke nicht zu
gedenken, wo die Idee des Heiligen den Gegenstand adelt und aus dem
gewöhnlichen Leben heraushebt. Diese unzähligen Verschmelzungen
von Portrait, Genre, Historien- und Ideenbild können wir hier natürlich
nicht verfolgen. Wie im Leben, so in der Malerei, die jenem folgt.
Was die Geschichte und die als Mythe, Sage u. s. W. auftretende Ver-
körperung von Ideen betrifft, so braucht man nur darauf hin-
zuweisen, wie wenig dieselben von einander zu trennen sind. Den
Maler fesseln darin keine Schranken, nur dass er nicht das Geschicht-
lich-Festgestelltc in der Art entstellen darf, dass er gegen sein
besseres Wissen lügt und einer lebenden oder gestorbenen Persön-
lichkeit dadurch Ehrenkrankung oder Schande bereitet. Die allgemeinen
Anforderungen an die Wahrhaftigkeit, wie sie im Leben gelten, gelten
auch für ihn unbedingt. So wenig der Geschichtsschreiber aus einem
Helden einen Schuft machen darf, so wenig darf es der Maler oder
Dichter.
Viele, sehr wichtige und schwierige Fragen waren auf diesem Ge-
biete zu erörtern, die wir hier übergehen müssen; nur wenige wollen
wir andeuten. So z. B. diejenige, nach der sogenannten realistischen,
naturwahren Behandlung in der Historienmalerei. Was haben wir z. B.
Wegen der Costümtreue für Anforderungen zu stellen? Was wegen der
ganzen Darstellungsweise? Im Allgemeinen kann man nur sagen, dass
der Maler auf der Bildungsstufe seiner Zeit stehen soll. Beschäftigt er