Das
Genre.
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venetianisches Glas ist, welches sie in der Hand hält, das interessirt
durchaus nicht blos Franz von Mieris allein, der sich so ausgezeichnet
auf dergleichen Dinge versteht. Der Genremaler hat sich um alle mög-
lichen Dinge zu kümmern. Ein Historienmaler vergisst wohl gar ein
paar Beine, wenn er's recht grossartig giebt, geschweige dass er sich
darum bekümmert, 0b der Hengst seines Helden Hufeisen hat, aber
Philipp Wouvermann hat sehr genau zu untersuchen, ob des Karrners
Wallach am rechten oder linken Vorder- oder Hinterfuss ein neues
Eisen nöthig hat. Des Erzengels Schwert ist eine gewaltige Neben-
sache, mag er auch gleich mit Beelzebub selber raufen, aber wenn das
nicht genau der alte Besen ist, mit dem Jochen Mistschuh schon seit
dem vorvorigen Jahrmarkt den Stall gefegt hat, dann wird Jochen das
ganze Bild für keinen Pfiiferling werth erklären. Aber Gerhard Dow
weiss das auch sehr gut, und so malt er, wenn es darauf ankommt, drei
Tage an dem Besenstiel.
Wir überlassen das Wandern durch das Genre dem Leser; wer
könnte es auch nur in seinen Lieblingsdarstellungen verfolgen! Die
ganze Welt ist Genre, und der tüchtige Maler braucht nur hineinzu-
greifen, um das schönste Bild hervorzubringen. Ein paar Bemerkungen
mögen sich aber noch hieran anreihen.
Zum ersten Mal begegnet uns hier in der Kunst ihre grössere Frei-
heit, auch in die 'I'iefen des Aesthetischen hinabzilsteigen, das Derbe,
Derbkomische, ja Gemeine zu ergreifen. Hier muss man sich hüten,
den Begriff des "reinen Schönheitsideals mitzubringen und zum Maass-
stab zu machen. Das früher über das Gewöhnliche, Niedere, Hässliche
und Komische Gesagte gilt hier. Ist die Darstellung desselben gewöhn-
lich, niedrig und hässlich oder abgeschmackt, so ist Stoff und Bild
nichtswürdig, aber ein Anderes ist's, wenn der Künstler durch Laune
oder durch gewaltige Kraft der Wahrheit, die ein allgemeines Spiegel-
bild der geschilderten Zustande giebt, den Gegenstand zu heben ver-
steht. Treten wir mit Adrian Brouwer oder Adrian von Ostade in eine
Schenke. Da "sitzen trinkcnde Raucher oder da spielen trunkene Bauern.
(Fig. 51). Was sind es häufig für gemeine, uniiathige Gesellen, welche
Biernasen, welcher stupide Ausdruck in den Gesichtern! Oder da sind
dieselben Lümmel in Zorn gerathen. Die Tische iiiegen bei Seite; in
den groben, trunkcnen Zügen flammt Wuth, die Messer. blitzen in den
schmutzigen Fäusten. Ein Genrebild! Aber eins, in welchem einer sol-
chen Menschenklasse ihr Spiegelbild vorgehalten wird, ein vollkommener
Ausdruck einer schwer in,s_ Gewicht fallenden Idee. In der Kunst der
Malerei aber, wie im Leben jenes Treiben, eine wichtige Seite, die V01!
einem Idealismus bewahrt, der die Wirklichkeit ganz ausser Augen ver-
liert und in ein krankhaftes, schattengleiches, körperloscs Schwärmen
hinüberleitet. Neben malerischer Schönheit also mindestens bedeutend,
ein Gegengewichtsbild, möchte man sagen. Oder es ist Kirmess, ein
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