I)as
Genre.
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Die Darstellung des Menschen pflegt man nach Genre-, Portrait-
und Historienmalerei zu unterscheiden. Im Portrait wird das Abbild
einer Person gegeben. Das Genrebild, auch Gescllschafts- und Sitten-
bild genannt, nimmt aus den allgemeinen, wiederkehrenden Lebens-
bezügen seinen Stoff; das Geschichtsbild hiugegengiebt einen bedeu-
tenden Moment, wie er sich einmal folgenschwer zugetragen hat, einen
Gipfelpunkt des Lebens, weit zurück, weit vorwärts deutend. Aber
nirgends ist eine Definition doch wieder unbestimmter als zwischen
beiden. Die Bedeutung des Dargestellten, dann auch die Behandlung
wirkt hier in der mannigfaltigsten Weise ein. Man denke an Novelle,
historische Novelle, historischen Roman, novellistisch behandelte Ge-
schichte und Geschichtsschreibung im strengeren Sinn, um das Inein-
anderübergehen des Einen in's Andere zu erkennen. So auch beim
Genre- und Historienbild. Daneben oder darüber tritt dann die
Darstellung, der die höchsten, bedeutendsten Ideen repräsentirenden
Erscheinungen, wie sie Sitte, Mythe oder Glaube concentrirt. Auch
hier gilt es wieder vor einer leichtfertigen Unter- oder Ueberordnung
zu warnen. Um die Bedeutung des Genre klar zu machen, wollen wir
es Lebensbild nennen und die ganze Tragweite desselben ist zu er-
kennen. TVohl liebt der Genremaler, sich an die kleineren Seiten des
Lebens zu halten; das Kleinliche, Gewöhnliche, selbst das Niedere
ergreift Mancher mit Vorliebe, durch Humor uns dabei erfreuend oder
auch durch die Kraft der Darstellung die Scene zu einer typischen, in
ihrer Art idealen Erscheinung gestaltend. Aber die ergreifendsten,
schwerwiegendsten Momente des gewöhnlichen Lebens sind nicht aus-
geschlossen. Der Genremaler, welcher sie, welcher überhaupt seinen
Stoß" nicht wie eine Anecdote, sondern in voller allgemeiner Wahrheit
darzustellen vermag, steht auf den höchsten Stufen der Kunst. Er stellt
im Allgemeinen die Einheit dar; der Historienmaler, welcher eine ein-
malige bedeutende That uns verführt, giebt im Einzelnen das Allge-
meine, Allgemein-Gültige. Dieser malt Maria mit dem Kinde Christus,
nach der Ueberlieferung, wie er sie sich bestimmt denkt; Jener malt
eine Mutter mit ilrrem Kinde, und weil er alles Hohe, Süsse und Reine
dieses reinsten Verhältnisses ausdrückt, wird seine Darstellung zum
Bilde des höchsten, was die christliche Phantasie erschaift, eben zum
Bilde der göttlich gedachten Maria und ihres Kindes. Ein solches
Genrebild ist durch die Tiefe der Empfindung, durch die Bedeutung des
mütterlichen und kindlichen Verhältnisses, durch die Reinheit der Auf'-
fassung zum seelenvollsten und für Millionen wichtigsten Ideenbilde
geworden.
Die Genremalerei umfasst das ganze Leben Posse, Lustspiel,
Schauspiel, bürgerliches Trauerspiel, so möchte man, anlehnend an
Bezeichnungen des Dramas, sagen, 01m6 jedoch die Vergleichung be-
sonders zu betonen. Von der Wiege bis zum Grabe begleitet der
Lemckc, Aesthetik. 2. Aufl. 26