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Malerei.
Die
Rembrandt einen Tizian, so möchte man sich leicht gctrauen, dessen
schöne Verbindung von Form und Farbe zu erklären. Mit dem Formen-
sinn kam der Jüngling aus seinen Südalpen von Oadore hinabgeschritten
nach Venedig. Mitten im Meer, in der nächsten Umgebung keine irgend
den Blick fesselnde Form, ist der Blick in Venedig auf die Pracht der
Farben des Himmels und des blauen adriatischen Meeres hingewiesen.
Und welch eine Pracht! Welch ein Glühen im Meere, dem blauen und
purpurnen, das zu Scherias und Ithakas Fluten hinabrollt, welch ein
Glänzen der Lagunen! und die Sonnenaufgänge und Untergänge über
den Alpen, die Lichter, die blauen Schatten von den Vorbei-gen bis
zu den fernen Firnen! Wer dort nicht Sinn für Farbe bekommt, der
wird ihn nie bekommen. Ader doch ist in Venedig kein Verschwimmen
und Verglänzen, wie an den Küsten Hollands, wo über den flachen
Weiten, die im Duft oder Nebel verschwimmen, wohl die lliittagswollze
darüber das festeste, körperlichste Gebilde scheint, wo selbst die wech-
selnde, nackte Dünenreihe schon wie ein mächtiger Abschluss in einer
strengen Linie erscheint gegenüber den Nebeln des Horizonts, der durch-
brochenen Linie einer Baumreihe oder dem verblinkenden Spiegel des
Meeres. Hoch, sicher, starr und gewaltig lagern in weitem Bogen die
gewaltigen Alpenreihen in den herrlichsten Linien um das Meer und um
die Ebenen Venedigs, Form bietend und welche Formen! Es ist
kein Wunder, dass der Sohn Cadores und Zögling Venedigs der herr-
liche Tizian wurde; wohl aber ein Wunder, dass in der Mühle bei
Schleswig ein Asmus Carstens geboren ward, der den Malern wieder
zeigen sollte, was Form und Composition zu bedeuten hat.
Wir wollen einige der gewöhnlich hervorgehobenen Untergebiete
in der Malerei betrachten. Beginnen wir mit dem Frucht- und Blumen-
stüek. Der Maler lässt darin den reizenden und schönen, farbenfreudigen,
formvollen Erscheinungen der Vegetation das Recht widerfahren und
entschädigt sie für die Vernachlässigung, welche ihr irothgezwilngeir die
Plastik zu Theil" werden liess. Die Blume, der Blumenstrauss in seinem
Blättergrün und seiner Blüthenpraeht, die saftigen Früchte in ihrem
Farbenduft kommen jetzt zu ihrer vollen künstlerischen Geltung. Den
reizenden und schönen Kindern der Pflanzenwelt, die nur zu schnell
vergehen, wird hier durch die Kunst ein unverwelkliches Leben gegeben
(Fig. 47). Schon bei derBetrachtung der Vegetation haben wir ihnen nur
wenige Worte widmen können, hauptsächlich darum, weil ihre Zierlich-
keit und die Schönheit ihrer Formen und Farben so wenig zu be-
schreiben ist. So können wir auch hier nicht die Schönheit eines
Blumenstücks auseinander setzen; ein sinniges, ruhiges, farbenfrohes
Auge gehört dazu, sie zu würdigen; das Wort würde sich vergebens
mühen, die Feinheiten der Formen, den Schmelz der Farben, diesen
sanften Duft, welcher Blumen und Früchte überzieht, zu schildern. Wir
bYallßhen nicht zu sagen, dass diese Darstellungen sehr schön in ihrer