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Die Malerei.
nicht genug WVechsel darin sehen oder, wenn sie ihn auch sehen, nicht
die tiefere Kenntniss besitzen, welche dazu gehört, ihn wieder zu geben.
Obwohl das Gesicht durch seine Formation dem Maler unendlich viel
bequemer ist, indem Nase, Augenrand, Schnitt der Lippen u. s. w. ihm
den verlangten Wechsel in Form und Licht gewähren, sehen wir darum
den Maler doch am liebsten es in eine Stellung bringen, bei welcher ihn
der Schatten unterstützt; er nimmt es nicht gern voll oder ganz Profil.
Ein Portrait, wie es Hans Holbein der Jüngere zu malen verstanden
hat, ohne die genannten pittoresken Etfecte, im vollen Lichte, z. B. sein
Erasmus, ist wohl den meisten Portraitmalern geradezu unmöglich.
Aber selbst die Beleuchtung hebt nicht so sehr über die Schwierigkeit,
als dass der Maler nicht den harten, schroffen, verwitterten, runzligen
Köpfen für gewöhnlich einen Vorzug vor den glattstirnigen, glatt-
wangigen geben sollte, weswegen er auch einen Schatten werfenden
Hut, eine Binde um den Kopf, überstchcndes, einrahmendes langes
IIaar, Bart u. dgl. so gern benutzt. Der Maler gebraucht Contraste,
um wirken zu können, Contrastc in Licht und Schatten, in den Formen,
in den Farben; aber solche Contraste müssen es sein, die er in eine
höhere Harmonie bringen kann. Danach kann man erkennen, warum
er eine frühlingsgriine Landschaft weniger gebrauchen kann, als die
herbstliche mit ihrem bunten Laube, warum er eine Ruine lieber -hat,
als ein blankes Palais, warum er keine glatten Kleider, sondern Falten
werfende haben will, warum ein Bettler malerischer zu sein pflegt,
als ein Stutzcr, ein Soldat des dreissigjahrigen Krieges oder ein ver-
wetterter Marodeur oder ein Räuber malerischer, als der bestgeschniegeltc
Gardesoldat. Das Schwerste für die Malerei ist aber darum auch die
einfache Schönheit. Viele werden sich bei Rafaels Madonnen über die
Einfachheit derselben wundern, wie sie z. B. so gleichmässig beleuchtet,
ohne alle Etfcctc von Licht und Schatten dasitzen, ohne zu wissen, dass
dies das Schwerste ist, wogegen eine rechte Effectmalerei voll auffallen-
der, gleich beim ersten Blick in die Augen steehender Contraste eine
Spielerei zu nennen. Nicht im sehroüen Wechsel von Licht und
Schatten liegt Rembrandts Kunst, sondern darin, wie er Licht und
Schatten in einander hinüberschmelzen und verschwimmen lasst. Um
so mehr die Malerei zu den Contrasten drängt, um so mehr hat sich der
Künstler zu hüten, dass er sich nicht blindlings fortreissen lasst, son-
dern Maass hält, und sich vor der Effecthascherei hütet, von vielen
Klippen, die in seinem Fahrwasser liegen, nicht die kleinste und
ungefährlichste. Die Strömung führt direct an ihr hin, immer in
Wirbeln gegen sie drangend; der Künstler soll sich wohl hüten und soll
wachen und gut steuern, dass er nicht aus seinem richtigen Fahrwasser
komme. Schon Mancher meinte in tieferes Wasser zu gelangen, lenkte
gegfän die Klippen und kam in's Seichte und sass auf. Viele und stolze
Schiife sind da zu Grunde gegangen.