Das Malerische.
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gezogenes Beinkleid macht ihr so zu sagen übel; sie giebt hundert
geschniegelte, glattschauende und glattlächelnde Dandys für einen
lumpigen, hohläugigen, struppigen Bettler. Sie verträgt keine grosscn,
einförmigen Flächen; Zerklüftung, Rissigkeit bis zu den Runzeln des
Antlitzes hinab sind ihr lieb. Wir können einen guten Einblick ge-
winnen, wenn wir die Nachbildung des Nackten in Betracht ziehen.
Warum bildet durchschnittlich der Maler nicht so gern das Nackte des
Menschen, wie der Bildhauer? Er gebraucht nicht die Gewänder zum
Stützen, wie wir dort gesehen haben; er könnte ja beliebig seine Stoffe
so wählen, dass er in der schönen Nacktheit zu schwelgen vermöchte.
Statt dessen sehen wir ihn wohl gern nackte Körpcrtheile neben der
Gewandung anbringen, aber mit Wenigen Ausnahmen die volle Nackt-
heit scheuen, sie wenigstens nicht als Hauptsache behandeln. Die
grossen Maler des Nackten sind zu zählen ein Michelangelo,
Correggio, Tizian, Rubens und wenige Andere. Michelangelo bildet
seine Menschen, seine Heiligen nackt, Correggio, legt seine entkleidete
Antiope, Tizian seine sogenannten Venusbilder ohne Gewandung vor
unsere bewundernden Blicke; auch Rubens scheint oft im Nackten zu
schwelgen. Haben andere Maler etwa aus sogenannter Sittlichkeit und
Schamgefühl das nicht gethan? Sie hatten wenig Grund zur Scham
gehabt, wenn ein Michelangelo sich nicht schämte. Der Grund ist ein-
fach, dass die Wenigsten ohne scharfe Lichtcontraste das Nackte der
grösseren Parthien, z. B. des Rückens, des Schenkels zu malen ver-
stehen, weil sie bei einer gleichmässigen Beleuchtung das leise Licht-
und Schattenspiel nicht festhalten können wegen Mangels an Kenntniss
der Formen. Sie bringen einen Wirrwarr von Licht und Schatten,
keine richtige Körperlichkeit heraus; man muss genau die Muskeln
kennen, um mit dem Auge so fest jede Erhöhung und Vertiefung zu fühlen,
dass man auch die leiseren Andeutungen festhalten und wiedergeben
kann. Ein Tizian und Correggio zeigen-einen tausendfaltigen feinen
Wechsel in der Behandlung des Fleisches, den richtigen Wechsel; sie
brauchen keine starke Nachhilfe durch ein stark einfallendes, schatten-
des Licht; sie malen da Körper, bilden da die plastischen Formen
heraus, wo Andere nur einen flachen Rücken einen flachen Schenkel
bilden könnten, wenn sie nicht durch Beleuchtung, die starke Schatten
und helle Lichter zeigt oder durch ein Uebermaass in der Behandlung
der Musculatur sich hülfen. Aus diesem Grunde sehen wir das Nackte,
wo es in grösseren freien Parthien gebildet ist, häufig so behandelt, als
0b der Maler eine Anatomie geben wolle; aus diesemgGrundc wählt er
lieber die verschrumpfteren oder die athletischen Formen, als eine
Sanfte, leichtschwellende Schönheit der Glieder. Auch ein Rubenä
machte es sich darin bekanntlich gern bequem. Es fehlt am Können,
nicht am guten Willen, wenn die menschliche Schönheit des Nackten
nicht öfter gebildet wird; für die Meisten ist unmalerisch, weil sie
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