Comp osition.
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Wir sehen hier drei Figuren in der Zweitheilung. Gott bildet die
eine Seite. Alle Linien führen zu ihm hin. Sein Haupt beherrscht das
Ganze. In der mächtigen steilen Linie des Mantels schliesst hier die
Figur ab, zu welcher die Wellenlinien des Ilaupthaares und der Schulter
hinübervermitteln. Adams Unterkörper giebt die Linien der Basis;
aber von der Wölbung der Brust an geht über den leise zurückge-
drückten Kopf und Evas Rücken und Haupt die Linie zur Hand und
darüber zum Haupte Gottes. Die Arme der Eva nehmen diese Linie
ebenfalls auf, sie wesentlich verstärkend. Die Macht des in weitem
Mantel dastehenden Gottes ist so grandios, dass die gewaltigen Ge-
stalten Adam's und Eva's zusammen sich harmonisch ihr unterordnen
Welch ein Geist, Welche Macht in dem Bilde, und welches Liniengefühl,
welch ein künstlerisches Können! Im Allgemeinen wirkt der strenge
Stil gern durch eine ziemlich genaue Symmetrie, indem er gleichsam
architectonisch seine Figuren oder Gruppen zusammenstellt. Je mehr
der Maler die Hauptbedeutung in das Colorit setzt, desto mehr pflegt
er sich von dieser strengeren Ordnung zu dispensiren. Er hat doch die
Macht durch die Farbe zu zeigen, worauf der Hauptausdruek liegt.
Ganz die Liniencomposition zu vernachlässigen und Alles in die Farbe
zu setzen, führt leicht auf die früher schon angeführten Abwege, Die
Formen müssen uns stützen. Als ein Muster der Verschmelzung könnten
wir hier Paul Veronesäs Anbetung der Weisen anführen (Fig. 45).
Hier lauft von dem Jagdhunde an über die Pagen und den König die
sacht ansteigende Linie zum Christuskinde. Von oben rechts führen
die Linien, wenn auch wveniger deutlich ausgeprägt, ebenfalls zum
Gesicht der Maria und zum Kinde hinunter. Links ist in Joseph und
dem Hirten eine Verstärkung der lllariengrtippe. Obgleich hier die
künstlerische Mittellinie durch den knieenden König geht, nicht durch
die Mitte des Bildes, hat Paolo durch die Lieblichkeit der Jungfrau und
den Nachdruck des Lichtes, der Farben und der angeführten Linien es
doch bewirkt, den anscheinend so weit aus der Mitte gerückten Schwer-
punkt des Bildes in der Maria mit dem Kinde ganz deutlich festzu-
stellen. Es kann kein Zweifel darüber herrschen, wo die Hauptidee des
Gemäldes zu suchen ist. In dieser Weise ordnet der Maler nach der
Brcitentheilung oder Langenriehtung, wie man auch sagen könnte. Ein
der Höhe nach niedriges Bild wird ihn natürlich zu sanfter ansteigenden
oder sich absenkenden Linien führen, ein mehr hohes als breites Bild
Nwird ihn steiler führende Linien wählen lassen. Oft wird er die um-
schliessende, zusammenfassende Pyramidaleomposition Wahlen, oft
gleichsam die umgekehrte, die von den höheren Seiten auf die tiefere
Ilailptiigui- führt, wie wir dies z. B.__in der heiligen Familie des Dürer-
sehen Holzselmittes sehen, wo die Linien schon von Dach und Bänmen
abwärts zum Kinde laufen (Fig. Uebrigens ist kaum nöthig, zu
sagen, dass jede Composition sich 111 Gruppenbildung und linearen)