Composition.
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des Stoffs die Bibel ein so unerschöpflieher Quell für Maler, Dichter
und Musiker, sondern auch wegen der Kürze und Einfachheit ihrer
Erzählung, die nur die nöthigsten Züge giebt. Man vergleiche die
Kreuzigung und Bestattung im Ev. Johannes mit dem Tode und der
Bestattung des Patroklos im Homer. Dort ist einfach ein Hergang
erzählt, vom künstlerischen Standpunkte aus betrachtet grossartig in
seiner Einfachheit. Uns selber bleibt Alles überlassen; so tief unsere
Gefühle sind, so tief können wir uns hineinversenken. Wenn die Saite
des Herzens anklingt, so geben wir stets unser Bestes zu dem, was das
Evangelium erzählt. Daher ist die tiefste,umfassendste Wirkung dafür
bleibend; es ist Jedem verständlich, Jedem genügend; es ist uner-
schöpflich sehrankenlos, weil es keine Schranke im Einzelnen giebt.
Hierin arbeiten wir stets mit unserm Besten; Homer giebt uns sein
Bestes, wenn er den Tod und die Bestattung des Helden erzählt. Er
bestimmt Alles genau und lässt uns auch im Einzelnen wenig Wahl,
wie wir es auffassen wollen. Diese seine durchgearbeitete Schönheit ist
wunderbar, aber weil sie Zug für Zug so wunderbar durchgearbeitet
ist, bietet sie in dieser Form für andere Künstler keinen so bequemen
sVorwurf. Der Maler wird dadurch nicht unterstützt, wie manche
meinen, sondern gebunden. Nur durch eine Entschlossenheit, wie sie
den meisten alten Künstlern durch die richtige Schule zu Theil ward,
wird er im Stande sein, selbständig ein schönes Kunstwerk aus solchen
Dichtungen herauszugestalten.
Was die Wahl des Stolfes in der Malerei anbetrifft, so werden wir
die verschiedenen Arten später betrachten. Es gilt hier erst einen all-
gemeinen Blibk darauf, sowie auf die Composition, auf die künstlerisch
anordnende Thätigkeit des Malers zu Werfen. Wir können hier füglich
die Worte des Aristoteles aus der Poetik anwenden und damit beginnen:
"Es muss also, wie in den übrigen nachahmenden Künsten die einzelne
Darstellung Darstellung eines Gegenstandes ist, ebenso auch die Fabel,
da sie Darstellung einer Handlung ist, nur eine und diese ganz dar-
stellen, und die Thatsachen, welche Theile derselben sind, müssen auf
eine solche Art verbunden sein, dass, wenn ein Theil versetzt oder
weggelassen, das Ganze auseinandergerissen und zerrüttet wird. Denn
was dasein oder auch nicht dasein kann, ohne etwas in der Handlung
bemerkbar zu machen, ist gar kein Theil des Ganzen." Diese Worte
kann Jeder leicht auf die Malerei anwenden. Der Maler mag nur das
neunte und die folgenden Oapitel der Poetik weiter lesen, um sich im
Einzelnen die Nutzanwendnngen daraus zu ziehen. Ich will hier noch
einen einzelnen Satz für die Wahl des Stoffes herausgreifen; „Vo11 den
einfachen Fabeln oder Handlungen aber sind die episodenreichen die
schlechtesten. Ich nenne nämlich episodenreich eine Fabel, in welcher
es weder die Wahrscheinlichkeit noch die Nothwendigkeit fordert, dass
die Auftritte so und nicht anders aufeinander folgen." Der Maler, der