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Die Malerei.
er nur einen Moment darstellt. Man ersieht daraus, wie schwierig es
ist, den richtigen, bedeutenden malerischen Moment zu erfassen. Das
Gemälde, was nur eine Episode verführt, steht ästhetisch niedriger,
ganz von dem zu geschweigen, was nur als eine Illustration zu betrach-
ten ist. Doch ist dieses nicht in der Art misszuverstehen, als ob ich
etwa aus einem Bilde genau erfahren müsste, wie eine historische That-
sache vor sich gegangen, welche Personen dabei mitgewirkt, wie die
Personen ausgesehen u. drgl. Es wird nur gefordert, dass ein Gemälde
durch Geschlossenheit, Schönheit und malerische Wahrheit als ein
selbständiges Kunstwerk erscheine, dass es malerisch keine Lücken
habe. Es soll keine Eselsbrücke zur Anschauung von einem daneben
stehenden Text sein, sondern für sich allein seine Bedeutung in sich
tragen. Ob der Vorwurf aus irgend einem Text gewählt ist, bleibt
gleichbedeutend; es giebt dann keine Illustration, sondern ein Gemälde.
Wir hätten hier, wenn der Raum es gestattete, einen Blick auf die seit
Lessings treffliehei- Erörterung im Laokoon so oft behandelte Frage
zu werfen, wo die Granzen zwischen dem Malerisehen und der Dich-
tung liegen, welche letztere bei der Wahl des Stoffes und des Momentes
besonders in Betracht kommt. Doch müssen wir auf Lessing und auf
die eingehenden Untersuchungen Anderer darüber verweisen. Im All-
gemeinen hat man noch immer zu klagen, dass die Malerei ihre An-
regung zu viel in der Poesie sucht oder sich doch, ihre Armuth und
Unselbständigkeit verrathend, zu sehr _an diese anlehnt, dann, dass sie
überhaupt in einem Anklammern an den durch Geschichte u. drgl. über-
lieferten Stoff, in möglichst grosser sogenannter 'I'reue der Darstellung
einen Triumph sieht. Es lässt sich nichts weiter "darüber sagen, als
dass der Maler, der Künstler überhaupt nie vergessen soll, dass die
Wahrheit seiner Kunst stets zuerst in Betracht kommt, dass er in seiner
Kunst und durch seine Kunst herrschen soll, aber keiner anderen
Kunst oder Wissenschaft Diener ist, wenn es sich um ein freies Kunst-
Werk handelt. Wie eng er auch im Einzelnen, z. B. an die naturgetreue
Darstellung gebunden ist, der zu Folge er das, was er darstellt, richtig
darzustellen hat, so giebt es für ihn in der Composition, in der ganzen
künstlerischen Behandlung kein anderes Gesetz, als was seine Kunst
dictirt. Alles Gegebene ist nur Stoff für ihn, mit dem er in seiner Art
nach seinen Kunstgesetzen umspringt, der ihm nicht mehr ist, als was
der Stein für den Bildhauer. In seiner Art! Wenn er es mit höheren,
völlig bestimmten Wesen zu thun hat, so kann er nicht lang machen,
was kurz war, nicht dick, was dünn; er ist vielleicht an die genaueste
Aehnlichkeit, in der Nachbildung gebunden, aber im Anordnen, Zu-
sammenstellen, in Stellung, Wahl des bedeutenden Momentes ist er unbe-
schränkt. Ist er mit dem sicheren malerischen Blicke begabt, so wird
ihn wenig kümmern, wie ihm das Material übergeben wird; er compo-
nirt es dann schon, dieses Wort in weitumfassendem Sinne zu verstehen;