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Die
Malerei.
die Beleuchtung macht; ein Zimmer in der Dämmerung, im Sonnen-
schein, bei Kerzenlicht, eine Gegend, von Morgenroth überglüht, in
Mittagssonnenbeletichtilng, von Gewitterwolken verdunkelt, von trübem
Regenhimmel überspannt, in den Schatten des Abends, welche verschie-
denen Eindrücke! Die Dinge sind dieselben, aber die Stimmung, die
sie erwecken, ist gänzlich verschieden. Die Plastik hatte sich nicht
daran zu kehren, sondern so viel wie möglich das wahre Sein zu bil-
den; die Malerei soll auch dieses zu erkennen suchen, aber nur als
Grundlage für den Schein, in dessen wechselndes, nie zu erschöpfendes
Reich sie sich freudig stürzt. Welche Poesie kann sie nun zeigen, wie
frei gestaltend scharfen, wie unabhängig ist sie von den Dingen ge-
worden, wie weit sind die Gränzen des Schönen gesteckt. Mit der
Starrheit der Architectur und der Strenge der Plastik verglichen, er-
scheint die Freiheit der Malerei wie Willkür. Und, lässt sich sagen
Ungebundenheit ist ein malerischer Characterzug, vor deren Uebermaass
sich der Maler nur hüten kann, wenn er die architectonischen und plasti-
schen Gesetze nicht ganz und gar ausser Augen verliert. Denn wie
weit die Gränzen der Malerei sind, Gränzen sind da. Wir sahen, dass,
Stimmungen und Affecte ihr Gebiet ausmachen; es ward aber auch
schon gesagt, dass jene an Formen gebunden sind, dass ein völliges
Zerfliessen aller Formen nicht mehr eine rein malerische Wirkung giebt,
sondern eine der musikalischen vergleichbare. Wie weit der Maler
darin gehen kann, lasst sich nicht bestimmen; eine blosse Farbenhar-
monie, die das Körperliche ganz ausser Augen verloren hat, die also
keine Zeichnung mehr erkennen lasst, geht über die Gränzen des Ma-
lerischen. Je stärker der Künstler in der Zeichnung ist, desto weiter
kann er in dieser Farbenwirkung gehen. Ohne Zeichnung kommt nur
ein verschwommenes, verhimmeltes Bild heraus, oder ein kaleidoskop-
artiges Gebilde. Ein Rembrandt, ein Murillo können uns sicher bis an
die äussersten Gränzen führen, wo alle Formen aufgelöst und wir nur
in Farbentönen zu schwimmen scheinen dammernde, unergründliche
Tiefen oder Himmelsweiten voll Licht weil sie auch Meister der
Form sind. Aber den Höhepunkt des Malerischen setzen wir nicht in
die verschwimmende Glorie einer Himmelfahrt Maria von Guido Reni,
sondern die sicheren, klaren Gestaltungen Rafaels werden von Allen als
solche gepriesen. Wenn hier der Künstler seine Gränzen einzuhalten
hat, so hat er es nicht minder in der Darstellung des geistigen Lebens.
Wir sahen ihn auf die Atfecte hingewiesen; ist es ihm nicht genug,
Empfindungen, Stimmungen, Leidenschaften zu malen, meint er nun
auch noch direct in das Gebiet der Gedanken hineingreifen zu können,
um Gebiete der Poesie für sich zu gewinnen, so wird er fehlerhaft oder
verschwendet doch seine Kraft. Die Aeusserungen der Gedanken, nicht
die Gedanken selbst kann er malen. Gedanken also," die sich nicht äus-
sern oder in ihren Aeusserungen doch nicht von andern zu unterschei-