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Die
Malerei.
von dieser seelischen Kraft des Künstlers die Wahl seiner Stoffe abhängt.
Wer sich nur oberflächlich in die Stimmung des Objects versenken kann,
wird an einem Characterbild scheitern. Wer nur für die schwächeren
Characterbewegungen Verständniss hat, wem die Kraft mangelt, die
Tiefen des Seelischen zu ergründen und dessen Höheflügen sich nachzu-
schwingen, der kann keinen grossen historischen Stoff bewältigen. Ver-
ständniss für das Seelische, wo es die Körperwelt bewegt, Kenntniss des
Körperlichen sind Grundbedingungen für den Maler. Der Künstler ist
nicht immer, was er darstellt, aber in dem Augenblicke, wo er darstellt,
muss er es sein. Die Empfindungsfähigkeit dafür muss er besitzen.
Die Zeichnung allein, ohne Farbe, hat man mit Recht gesagt, ist
idealistisch; die Farbengebung ist realistischer. Man braucht nur daran
zu denken, dass wir nur unter ganz besonderen Umständen, etwa durch
einen besonderen Hintergrund, die Dinge so scharf geschieden sehen,
wie der absohliessende Strich des Zeichners sie darstellt. Die Dinge
sind farbig und die einzelnen Farben spielen ineinander über. Licht
und Schatten wirken ineinander; Reflexe verändern den Eindruck. Wir
sehen überhaupt die Farbe stets unter dem Einfiusse des Lichtes und
je nach dessen Helligkeit, Stärke, Trübe modificirt. Wir sehen ferner
die Farben durch ihre Nebeneinanderstellung bedingt. Roth auf Gelb
sieht z. B. anders aus, als Roth auf Grün. In dem allgemeinen Theil
haben wir eine kurze Betrachtung der Farbe gegeben, worauf wir hier
verweisen wollen. Es sieht nun also der Maler die Gestalten in ihren
Umrissen durch das Hineinschimmern des Lichtes nichtgenau so, wie
sie sind. Das scharfe Licht z. B., das auf ein Object fällt, verzehrt
gleichsam durch seine helle Beleuchtung einen Theil desselben; der tiefe
Schatten verstärkt es. Um so nöthiger ist die Kenntniss der wirklichen
Form, dann aber auch die Kenntniss der verschiedenen Licht- und
Farbenwirkungen. Ein Gesicht, welches ich in Sonnenbeleuchtung sehe,
hat einen warmen Farbenton, indem das gelbe Sonnenlicht mit der vom
Blut durchrötheten Hautfarbe sich warm röthlich- gelb verbindet; sehe
ich die blaue Luft neben der Haut, so trifft der Eindruck des Blau mit
dem vorigen zusammen und es entsteht ein grünlieher, verschmelzender
Schimmer. Ein rother Vorhang wirft andere Refiexe und verbindet sich
zu einem andern Ton in der Menschenfarbe, als ein grüner oder gelber.
Es versteht sich, dass in dieser Beziehung der Maler den feinsten Sinn
haben muss und nur durch Einhaltung des Gesetzmässigen in der
Farbenverbindung etwas Harmonisches zu Stande bringen kann. Wer
etwa ein Portrait in der Beleuchtung eines rothen Vorhangs malte, dem-
selben aber hernach einen frühlingsgrünen Hintergrund geben würde,
könnte niemals einen harmonischen Eindruck erzeugen.
Auf die wunderbare Befähigung des Auges, die dem Maler unent-
behrlich ist, die feinste Licht- und Schattenveränderung nachzufühlen
und dadurch den Gegenstand körperlich zu sehen, brauche ich nur hin-