Farbe.
Zeichnung und
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Nicht blos in der Geschicklichkeit, die nothwendigen Schwierigkeiten
zu besiegen, zeigt der Künstler seine Grösse, sondern auch in dem Ge-
schmack, durch keine unnöthigei] zu stören. Nicht zum wenigsten hat
der Maler Gelegenheit, diesen Geschmack in der Vermeidung allzuvieler
und zu auffälliger Verkürzungen anzuwenden, bei denen er nicht aus
blosser Bravourlust mit der Plastik soll wetteifern wollen. Doch, es
bedarf hier keiner langen Auseinandersetzungen. Für jedes Kunstwerk
gilt, dass alles Einzelne sich der Harmonie des Ganzen nnterzuord-
nen hat, dass jedes virtuosenhafte Verdrängen im Einzelnen die Har-
monie des Ganzen unruhig macht und zerreisst, dass eine virtuosenhafte
Behandlung des Ganzen, wenn sie nichts Anderes als Geschicklichkeit
ist, nur ein Kunststück, nicht ein Kunstwerk zu Stande bringen kann.
Der Maler zeichnet seine Objecte. Dazu gehört, wie nicht weiter
auseinanderzusetzen nöthig, Sicherheit des Auges und Sicherheit der
Hand. In den richtigen Verhältnissen bildet er die Umrisse nach, die
der Gegenstand zeigt. Ist er mit dem feinen Auge begabt, das jede
leiseste Verschiebung der Formen erkennt, so kann er mit dem ein-
fachen Striche uns eine so plastische Figur auf die Flache zaubern, wie
der weniger Begabte mit Aufbietnng aller Mittel des Schattens und
Lichts sie nicht besser gestalten kann. Was sind das für Gestalten auf
den Cartons von Cornelius, den Zeichnungen Genellfs! Die künstlerische
Begabung kommt bei der Nachbildung der Dinge natürlich vor Allem
zur Geltung; im Allgemeinen gehört aber zur guten Darstellung eine
genaue Kenntniss der Dinge. Zwar, wo dieselben nur durch ihre äusseren
Formen wirken, ist die genaue Anschauung derselben genügend. An-
ders aber, wenn innere Kräfte in's Spiel kommen, ohne welche die äus-
Seren Formen nicht ganz verstanden werden können. Seien dies nun
mechanische oder geistige Kräfte, der Künstler, der stets von den
Hauptsachen auszugehen hat, muss dieselben kennen. Denken wir an
die Bewegung eines Menschen. Wenn der Maler von dem innern Bau
des Körpers, wenn er von der Lage und Wirkung der Muskeln keine
genaue Kenntniss hat, ist er nicht blos von dem Modell durchaus ab-
hängig, sondern kann von einem Menschen in allen schnelleren Bewe-
gungen keine richtige Zeichnung geben, weil das Modell lhll dann 1m
Stich lasst. Ebenso, wo eine psychische Kraft den Körper durchdringt
und bewegt. Der Maler, der dieselbe nicht erkennt und nicht gleichsam
aus ihr heraus nachschatft, wird bei dem grössten Nachahmungstalcxit
kaum etwas anderes, als eine sehr ähnliche Maske des Gegenstandes
liefern können. Das wahre Leben wird darin fehlen. Dass somit geniale
Begabung nothwendig ist, die sich wohl ausbilden und üben, aber
nicht anerziehen lässt, ist klar. Wer nicht die Anlage hat, sich in sein
Object hinein zu versetzen, bleibt nur auf den handwerklichen Stufen
stehen. Schon hier kann ich bemerken, dass alle anderen Bedingungen,
Wie malerisches Auge, sichere Hand, Farbensinn u. s. w. vorausgesetzt,
Lenickc, Aesthetik. 2. Aufl. 24