368
Malerei.
Die
jede Unwahrheit wirkt auch ästhetisch verletzend. Jedes Gemälde soll
darum von einem Standpunkte aus berechnet, perspectiviseh richtig
sein. Der Künstler, der z. B. mehrere Gruppen in einem Gemälde bildet,
von denen- jede ihren eignen Standpunkt verlangt, giebt eigentlich
mehrere Acte eines Werkes, überschreitet also, wenn er sie, tingeschie-
den durch Rahmen u. dgl. doch zusammenstellt, die Gräuze des Ma-
lerischen, indem dieses an sich ein Gleichzeitiges im Raume darstellt,
während durch den Wechsel des richtigen Augenpunktes ein Nach-
einander bedingt ist. Umstände können ihn nun dazu drängen, diesen
Fehler zu begehen. Wenn es z. B. gilt ein g1'osses Bild zu entwerfen,
dessen Einzelheiten auf einen nahen Standpunkt berechnet sind, weil
vielleicht die geringe Tiefe des Raumes, etwa eines Zimmers oder einer
Halle nicht erlaubt, so weit zurückzutreten, um eine durchaus einheit-
liche Anschauung zu gewinnen, so wird der Maler sich leicht bewogen
finden, die strenge Einheit zu opfern und Vielleicht für jede grössere
Gruppe einen eigenen Standpunkt anzunehmen. Wo er sehr grosse
Flächen, z. B. eine grosse Kirchendecke und Wand mit einem Gemälde
schmücken soll, wird er meistens zu einer solchen Behandlung gezwun-
gen sein, weil hier die Uebersichtlichkeit von einem Standpunkt aus oft
kaum möglich oder unmöglich zu erreichen. Der Maler überschreitet
also, wenn er die einheitliche Perspective nicht einhält, streng genom-
men, seine Gränzen und verfällt ins Dramatisch-poetische, wie er bei
einer langen Friescomposition, der wir Schritt für Schritt folgen müssen,
episch wird. Die Frage, wie gross ein Gemälde sein dürfe, ist daher
so zu beantworten, dass es so gross sein dürfe, als es in seinen schö-
nen, wichtigen Einzelheiten deutlich von einem Standpunkte aus über-
schaut und erkannt werden kann. So schön die perspectivisehe Sonder-
behandlung der einzelnen Gruppen sein mag, so geht doch ein solches
Gemälde in diesen Gruppen nicht malerisch zusammen und hat darum
einen Oompositionsfehler. Einheit des Raumes ist ein Grundgesetz für
die Malerei. Entweder das Gemälde muss danach eomponirt sein oder
es muss auch durch Rahmen oder sonstige Trennung in selbständige
Einzelgemälde aufgelöst werden. Andererseits ist nun aber eine An-
wendung der Perspeetive, bei welcher nach dem Aussprüche des Paters
im Dom zu Parma ein Froschragout herauskommt, durchaus nicht zu
billigen. Der Maler soll immer künstlerisch Raum und Oomposition so_
behandeln, dass er ein Kunstwerk, nicht ein Kunststück zeigt. Wie
wenig man ihm auch an sich die Freude an der Virtuosität verargen
kann, so trägt er doch "den Schaden davon, wenn er dieselbe da über
die Schönheit der Kunst triumphiren lässt, wo nur die Schönheit hin-
gehört. Wenn er Schwierigkeiten überwindet, so dass man sie nicht
gewahrt und Alles natürlich und nothwendig erscheint, so zeigt er den
Künstler; wenn aber diese Schwierigkeiten sich verdrängen und unS
gleichsam beunruhigen, so wird der harmonische Eindruck zerrissen.