Pcrspective.
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lichkeit durch Licht und Schatten auszudrücken anfängt, wenn er auch
mit der Farbe schattet und Licht, Schatten, Reiiexe wiedergiebt, dann
erst ist er mehr als Zeichner und Anmaler, Adann malt er. Aber immer
noch ist der Maler gegenüber der Vielheit der Dinge gebunden; wohl
wagt er die Vertiefung bei seinen Darstellungen auszudrücken, er sieht
die Dinge sich verkürzen, sieht sie durch die Luftperspective andere
Farbentöne annehmen, sieht scheinbar zusammen laufen, was in der
Wirklichkeit getrennt bleibt, und er bildet das nach, so gut es geht;
aber dennoch wird er merken, dass sein Bild oft unwahr ist, dass die
ferneren Objecte auf demselben nicht zusammen gehen und Unruhe und
Unordnung herrscht anstatt Harmonie. Die Gesetze der Perspective
müssen gefunden werden. Durch sie gewinnt er die wahre Herrschaft
über den Raum. Ein mathematisches Gesetz ordnet die Dinge, weist
ihnen ihre Linien, ihre Stellung vom Auge aus; um so leichter kann sie
der Künstler beherrschen, um so sicherer kann er mit der Luftperspec-
tive wirken, da er seinen Halt an der Linearperspective findet. Ob auf
einer Flache arbeitend, giebt es nun keine Tiefe mehr für ihn, die er
nicht darzustellen vermochte. Nun versteht er das Spiegelbild des
Auges durch Form und Farbe wiederzugeben und es als Gemälde nach
den Gesetzen des Schönen zum freien Kunstwerk zu erheben. Es ist ein
eigen Ding um die Anwendung der Perspective in der Malerei; sie kann
uns die Befangenheit des Menschen deutlich zeigen. Wir sehen Alles
perspectivisch; durch den Augenpunkt ist Alles in seiner Stellung
bedingt; was links und rechts von dem geraden Blicke liegt, zieht sich
nach dessen Linie hin zusammen, eben nach den hier nicht naher zu
erörternden Gesetzen der Perspective, und doch haben Jahrtausende
vergehen können, ehe man die Erkenntniss und das richtige Verstand-
niss dafür in der Nachbildung gewann. Wir haben Augen und sehen
nicht, könnte man darüber sagen. Jeder Blick gicbt uns wegen dieser
perspectivischen Verbindung der Dinge ein einheitliches Bild, und die
Kunst, die vor Allem nach Einheit, nach dem Zusammengehen der
dargestellten Objeete ringt, findet so lange diese Einheitlichkeit nicht
heraus, sondern verschiebt dieselbe und zertört sie, wie sehr sießauch
auf anderen Wegen danach strebt. Woher diese Verblendung? Nur
daraus, dass der Mensch die Natur zu sehr vergisst und Alles mehr aus
seinen Gedanken herausspinnen will, dass er lieber das Gedankenkafte
und das Menschenwerk, was ihm überliefert wird, weiterspinnt, als dass
er, wenn es sich um das Natürliche handelt, mit ungetrübten Blicken
aus der ersten Quelle, aus dem grossen Buch der Natur selbst lernt,
diese zur Hauptlehreriil nehmend, alles Andere nur als Hülfsmittel und
Glosse betrachtend.
Ich will hier gleich die Frage berücksichtigen, wie sich der Künstler
zu der Perspective zu stellen habe, ob jede Verletzung derselben ihm
verboten sei. An und für sich muss er stets in der Wahrheit bleiben;