Genius und klage nicht so viel über die Schranken, sondern durchbreche
sie. Durch Klagen und Sichfügen wird nichts Neues geschaffen. S0
ist der Götz von Berlichingen, ist die Iphigenie, so sind Glucl-fs,
Mozarts, Beethoven's Werke nicht entstanden. Kein Napoleon,
Shakespeare, Kopernikus, Cäsar, Alexander, kein bedeutender frucht-
barer Geist hat sich mit dem begnügt, was da war, weil es da war.
Aber man braucht den Bildner ja nicht auf andere Gebiete zu verweisen.
Da sind Phidias, Praxiteles, Michelangelo, Peter Vischer, lauter Neuerer.
Da kann er ja nur auf Canova, Thorwaldsen und auf Rauch blicken.
Sie bildeten ihre Zeit, sie folgten ihr nicht bloss. Dazu gehört freilich
mehr als nur Schule oder nur Geist. Es gehört Geist und gründliche
Schule dazu, oder es wird in der Erfindung oder in der Ausführung
fehlen und nichts Verständiges herauskommen.
Unsere Plastiker haben mit grossen, oft unüberwindlich scheinen-
den Schwierigkeiten zu kämpfen. Ihnen entgegen steht die Tracht, das
Vorwiegen des innerlichen geistigen Lebens, das Fehlen des plastischen
Sinnes überhaupt, die Unruhe, das Weiter-drängen der Zeit, mit dem die
Abgeschlossenheit, die sorgfältige Piiege der Einzelheit, die harmonische
Ruhe und das In-sich-befriedigt-sein der Plastik contrastirt. Aber wie
schlimm es auch sein mag, die Zeit ist doch nicht so schlimm, dass der
bedeutende Künstler zu verzagen braucht. Wenn der Bildner klagen
will, so soll er sich an den armen Knaben erinnern, der seinem Vater
wohl das Essen auf den Zimmerplatz nachtrug und dann die Axt nahm
und an dessen rohen Schitfsgallionen weiter bildete. War die Zeit besser
als die unsere? ist die unsere manierirter? war jene plastischer? klüger?
Der Knabe hiess Berthel Thorwaldsen; er wuchs und ward Bildhauer.
Da schaute er durch die Kleider; _da kümmerte ihn kein Wust, keine
alberne Verschrobenheit, keine falsche Grazie, keine lächerliche Würde.
Er folgte seinem Geist und den hellenischen Vorbildern, und wiederum
erstanden Meisterwerke der Plastik und wieder war die Welt von sol-
chen Gestalten entzückt. Er warf weg, was er nicht brauchen konnte,
und er schuf oder nahm hinzu, was ihm fehlte. Die Welt hat stets
geklagt, dass Dies oder Jenes leider ein" unübersteigliches Hinderniss für
Jenes oder Dieses sei. Aber dann kommt ein Geist und übersteigt oder
schiebt das Hinderniss bei Seite. Dazu gehört freilich Begabung und
Energie. Aber ohne diese Eigenschaften wird überhaupt nichts be-
deutendes Neues geschaffen und wird das gute Alte verdorben. Wie
schwer es darum auch der Plastiker haben möge, sein Wahlspruch
muss sein: Trotz alledem! Und wenn er die Schönheit der Form zum
Ziel nimmt, die klare, die kräftige Schönheit, und wenn er die Kraft
hat, sich nicht beirren zu lassen, dann wird er das Plastisch-Schöne
schaffen und es auch zur Anerkennung bringen.