Volltext: Populäre Aesthetik

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Bildnerei 
Die 
sicht und damit auf den seelischen Ausdruck und damit auf die Malerei 
hingewiesen sind. Der Grieche sehwelgte in Formenschönheit, wo wir 
darben; er erkannte Göttlichkeit, wo wir meinen, die Augen nieder- 
schlagen zu müssen, weil es sündhaft zu sehen, was die Gottheit so 
schön geschaffen. Er pries, er berauschte sich an dem, was wir ver- 
schweigen oder verstecken. Er genoss in vollen Zügen, während un- 
sere Zeit sich mehr überreizt und begehrlich zum Genüsse macht, als 
geniesst, dadurch die schöne Sinnlichkeit mehr abstumpfend als aus- 
bildend, daher krankhaft „mitten im Genuss vor Begierde verschmach- 
tend". Man könnte den hellenischen Herakles in seiner männlichen 
Kraft dem Faust einiger unserer Dichter entgegenstehen, um die Krank- 
haftigkeit der Sinnlichkeit zu zeigen. 
Wir wollen hier die Frage über die Nacktheit und die Gewandung 
ins Auge fassen. Es giebt nichts Schöneres als den nackten Körper. 
Das Klima zwingt den Menschen, sich zu bekleiden und sich gegen 
Gluth oder Kälte zu schützen. Dann treibt ihn, auch wo das Klima 
eine Bekleidung überiiüssiger macht, Schamhaftigkeit, gewisse Körper- 
theile zu bedecken. Selbst bei den niedrigststehenden Stämmen linden 
wir, wenn auch in der dürftigsten Weise, derartige Verhüllungen. Erin- 
nern wir uns an das bei der Vegetation Gesagte. Die Pflanze findet 
durch die Blüthe ihren höchsten Ausdruck. Es wird gleichsam jubelnd 
verkündet, dass sie Fortptlanzungskraft besizt und (ladurch weit über 
die nur bestehende Natur gehoben ist. Was das Höchste auf dieser 
Stufe ist, wird bei der höheren Stufe eine niedere und so sehen wir 
beim Thier ein Verstecken, wo wir bei der Pflanze ein Prunken ge- 
wahrten. S0 nun weist der Mensch durch Verhüllen darauf hin, dass 
es ein Untergeordnetes ist, was es verhüllt. Das Geistige soll haupt- 
sächlich betont, das nur Geschlechtliche des Zeugenden und Ernähren- 
den soll versteckt werden; es scheint zu sehr auf das Thierische hinzu- 
weisen. Daraus entwickelt sich nun weiter die feinere und sinnigere 
Schamhaftigkeit. Die Zucht verlangt, dass das Thierisehe beschränkt 
werde; die sinnliche Leidenschaft muss durch Vernunft gebandigt er- 
scheinen; sie wird veredelt. Ein strengeres Verhüllen pflegt diese Re- 
flexion zu begleiten. Wo aber die wahre Veredlung eingetreten ist, wo 
die Sinnlichkeit in jeder Beziehung schön erscheint, natürlich ist und 
doch geistig geläutert, geistig und doch natürlich, da giebt es keine 
Scham im gewöhnlichen Sinne, die Verhüllungen braucht, um nicht den 
Eindruck der Sinnlichkeit oder die unwillige Abwehr gegen dieselbe zu 
erwecken. Da ist Nacktheit keuscher als ein Verstecken, das mehr 
darauf hinweist, dass etwas verborgen ist, als das Verborgene ver- 
gessen lässt. Der Künstler, der keusch, wie jede Kunst sein und 
machen soll, nur die Schönheit verfolgt, nicht aber sich um gemeine 
sinnliche Nebendinge und Zwecke kümmert, wird ein Kunstwerk 
schaffen, das auch der keuschesten Seele keinen Schaden bringt, son-
	        
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