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Bildnerei.
Die
das Bild selbst zu erfassen sucht. Wer Schönes schaffen will, muss
Sinn für das Schöne haben. _Wer das Organische in seiner Schönheit
verklärt darzustellen versucht, muss es in seiner Schönheit erkennen.
Ein tiefes Gefühl dafür muss in der Brust des Künstlers liegen; es kann
nur geweckt und gebildet, ihm nicht gegeben werden. Die Schönheit
der Gestalt des Menschen, als die höchste, wird ihn dann zunächst ent-
zücken und ihn nicht ruhen lassen, als bis er sie sich völlig klar
gemacht hat, indem er die herrlichen festen Formen, dieses Wogen und
Schwellen des Fleisches, das feine Spiel der Linien, die Geschmeidig-
keit, indem er die ganze nnsagbare Schönheit nachbildet. Es würde
ein müssiger Versuch sein, hier die Formenschönheit der höheren orga-
nischen Gestalten schildern zu wollen, die eben nur vom bildenden
Künstler, vom Maler und vor Allem vom Bildner ausgedrückt werden
kann. Selbst für den, dessen Auge und Seele dafür nicht blind ist,
giebt es nur besondere Zeiten, wo er sie zu empünden vermag. Der
Anblick der Schönheit kann berauschend wirken. Ein Antlitz, ein
Körper kann entzücken. Das Seelenvolle darin kann sogar zurücktreten
und der Anblick'der Formen allein kann durch ihren Rhythmus, in
diesem unendlichen Wechsel von Stark, Schwach, Rund, Lang, Fest,
Weich, in diesen nicht auszumessenden, jedem mathematischen Maass
sich entziehenden und doch so maassvollen Linien einen Eindruck
machen, der am besten mit einer Sinfonie zu vergleichen ist. Es ist
eine Unendlichkeit darin, die sich nie'ganz erfassen lasst; jede Be-
wegung ändert und giebt neue unzählige Oombinationen. Dafür gehört
freilich ein plastisches Auge, was die Gegenstände umfasst, „tastend
sieht", wie Vischer es so treffend nennt, das jedes für sich ergreift, die
Welt und die Dinge nicht anschaut, als ob Alles flach neben und hinter
einander stände: ein Auge, was jeden Wechsel, jede Erhöhung, jede
Vertiefung empfindet. Viele Menschen und ganze Zeiten sehen nur
flach, nur ausschattirte bunte Zeichnungen; ihre Blicke haften nicht,
sondern gleiten, und dies darum, weil ihre Seelen nichts Geschlossenes,
in sich Beruhcndes haben- Sie können darum keinen Gegenstand recht
erfassen, weil sie überall abschweifen nach dem daneben und dahinter
Beiindlichen. Diese sind unplastisch, sie können nach Umständen
malerisch sein; wenn aber die malerischen Anlagen fehlen, so sind sie
der bildenden Kunst ganz verloren und werden Geschöpfe mit so ver-
schwimmenden Seelen, wie das Wasser. Jeder Gegenstand spiegelt
darin stärker oder schwächer nach der Durehsichtigkeit oder der
Trübe des Wassers, aber Alles zittert,'wechselt und verschwimmt
darin durcheinander. Ohne einen solchen plastischen Blick, ohne die
ihn erzeugende, feste, geschlossene Seele, in deren festeres Material
sich gleichsam das Bild prägt und seinen Abdruck macht, der nicht
wie im flüssigen Stoffe gleich durcheinanderrinnt, ist weder ein plastischer
Künstler noch überhaupt ein Erkennen der plastischen Schönheit möglich.