Einzelbild.
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stärkt wird. Sie sind in der Anstrengung aller Kräfte, den Stier noch
Zu halten, ganz von der Dirke abgezogen; so unbeachtet krümmt sich
das Opfer vor ihren Füssen, als wenn der Stier Hauptsache wäre.
Nicht ihr Hass würde so unmenschlich, so brutal erscheinen, wie diese
Gleichgültigkeit. Dadurch wird nun aber das Ganze doch wieder un-
deutlicher, zerrissener und widerstrebender. Es entsteht dadurch ein
Contrast zu der Antiope, der'nicht ausgeglichen wird. Ein Thierban-
digungsstück oben, unten ein Opfer. Das ist dramatische Bewegtheit,
aber eine Harmonie ist nicht erreicht; auch der plastische Stil nicht
überall eingehalten.
Das Hindrangen zum Sceniscln-Dramatisclien ist ein characteri-
sches Zeichen, dass die Plastik über ihre Granzen hinaus will; sie will
ihren Höhepunkt noch mehr erhöhen und sinkt. Man vergleiche Ca-
nova's Christina-Denkmal in der Augustinerkirche zu Wien. Wir
haben hier nicht davon zu reden, wie der Beifall der Menge, die Gross-
artigkeit, Kühnheit und Geschicklichkeit, die sich in gewaltig bewegten
Gruppen zeigen lässt, den Künstler auf diese Bahn drängen, die ge-
fährlich für den wahren plastischen Stil ist. Auf wie bewegten, stür-
mischen Wogen der Plastiker aber auch steure, so wollen wir ihm
doch zurufen, nie zu vergessen, dass die einfache Ruhe in seiner Kunst
der Polarstern ist, nach welchem er immer wieder schauen soll, um sich
nicht zu verirren.
Wir haben schon das Einzelwerk und die Gruppe unterscheiden
müssen. Betrachten wir dieselben, so wie auch das Relief naher.
Die geschichtliche Entwickelung der Einzelgestalt können wir nur
berühren. In den Anfängen der Bildnerei wird eine Hermenbildung
sich ganz von selbst ergeben. Ein länglicher Block, von Holz oder
Stein, wird aufrecht festgestellt; an diesem wird Kopf und Rumpf aus-
gearbeitet. Daraus oder daneben entwickelt sich die Büste. Zunächst
kommt die sitzende Figur, dann die angelehnt stehende, dann die in
allseitiger Schönheit dem Betrachter entgegentretende Freigestalt.
Die Schönheit des Körpers will der Bildner zeigen, des ganzen
Körpers und zwar die allseitige Schönheit. Wo er aus. Rücksicht auf
das Material gezwungen ist, Körpertheile verdeckende Stützen anzu-
bringen, wird er dieselben so anzubringen haben, dass möglichst un-
wichtige Theile dadurch verdeckt sind; ich erinnere hierbei an die
Baumstämme, die der Bildner anzubringen liebt. Sobald solche Stützen
die Mitte des Körpers übersteigen, hat es der Künstler allerdings
leichter, schadet er andererseits aber auch der Allseitigkeit und weist
den Betrachter mehr auf einen bestimmten Standpunkt. Aber nicht
blos die Zuthaten, die Haltung des Körpers selbst kommt hier in Be-
tracht. Je freier, rhythmischer alle Glieder entwickelt und in ihrer
Schönheit gezeigt sind, desto grösser ist- das Verdienst des Künstlers.
Eine zusammengekauerte, viele Theile versteckende Haltung kann wohl
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