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Die Bildnerei
Stein das Relief ausgenommen erscheint unnatürlich; naturgemäss
müsste es fallen. Nur eine Künstelei setzt sich darüber hinweg und
will hierin mit der Malerei wetteifern, die durch die Farbe gleichsam
unabhängig vom schweren Stoff vollständig die Erscheinung zu beherr-
schen versteht. Der Maler kann den springenden Menschen auf der
Höhe des Sprungs in der Luft schwebend darstellen, nicht so der
Bildner, der mit schwerem Material arbeitet. Versucht er es doch, in-
dem er etwa den Springer durch eine Eisenstange in der Luft schwe-
bend erscheinen lasst, so kommt nur ein barocker Widersinn heraus.
Barock sind alle diese schwebenden Freigestalten, wie z. B. die stei-
nernen Tauben, die man so häufig als Symbole des heiligen Geistes
tlatternd über den Köpfen der Heiligen angenagelt sieht. Soll also ein
Mensch in Stein gebildet werden, so wird das Gesetz des Ünorganischen
zur möglichst strengen Befolgung des Gesetzes der Schwere, somit zur
möglichst sicheren breiten Stützung, zum Gleichgewicht, also zur
strengen Symmetrie im Aufbau der Gestalt drangen. Die Bewegungs-
losigkeit, die völlige Ruhe wird darin erstrebt. Damit tritt das Wesen
des Menschen, seine Lebendigkeit, seine Freiheit der Bewegung in
Widerspruch. Die starre mathematische Ordnung ziert ihn nicht mehr,
sondern erscheint als Fessel; eine schöne rhythmische Freiheit ist an
die Stelle der Starrheit getreten.
Diese Gegensätze hat nun die Plastik zu vereinen. Im Anfang
wird das Gesetz des Stoffes überwiegen; auf der Höhe der Kunst sehen
wir die Harmonie. Die lebendige Bewegung ist in schönster Weise aus-
gedrückt, ohne dass der Künstler dem Stoffe Gewalt angethan hätte.
Dann aber tritt das Gesetz des Stoffes ganz in den Hintergrund. Die
Schönheit des vollen, wahren Stils wird im Ringen nach sogenannter
vollständiger Vernichtung des Stoifes verloren; der Bildner kümmert
sich nur noch um den Gegenstand, nicht mehr um das Material. Das
Schwierige wird über das Schöne, Stilgemässe gestellt. Jetzt sucht der
Steinbildner mit dem Erzgiesser in der Gewaltsamlzeit der Stellungen
zu rivalisiren, der Erzbildner will es womöglich dem Maler gleichthun.
Damit ist ein Verfall der Kunst angezeigt. Die Technik glänzt, aber
der wahre Geist ist verloren.
Soviel was die allgemeine Anlage betrifft. Aber wenn wir nun die
Arbeit im Einzelnen betrachten, so finden wir es bei den meisten
plastischen Darstellungen schwierig, ja sogar unmöglich, Feinheiten
der Natur, welche die Malerei leicht nachbildet, wiederzugeben. Man
denke nur an einzelne Haare, an das feine Geäder, an feines Netzwerk
von Runzeln und dergleichen. Das feste Material weist auf die feste
Form, auf das Architektonische, auf das Bestimmte der Gestalt. Die
Flachen, das Zusammenhängende ist naturgemäss das Gebiet der Pla-
Stik; darum ausser der Bestimmtheit der ganzen Form der Rhythmus
der Bewegung in der schönen Verbindung der einzelnen Theile; das