Anklagen gegen
das
Schöne
lud
die
Aesthetik.
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bekümmern, dass die Kunst nur der Schein eines Scheins, ihre Be-
sprechung also auch die Besprechung des Scheins eines Scheins und
somit eigentlich widersinnig sei. Uns quält nicht die philosophische
Gewissheit, dass es nichts Wahres gicbt als die Gedanken der Philo-
sophen, dass man das Vollkommene nirgend anders finden könne, als
bei ihnen. Auch die höchst betrübendc Lehre vieler Ideosophen, dass
Gott mit dem Teufel im Schönen und lrlassliehen der Welt Krieg führe,
bekümmert uns nicht, sodass wir ohne allzugrosse Niedergeschlagen-
heit das Minder-Schöne betrachten können und nicht bei jedem zer-
fressenen Blatt, jedem getrübten Krystall, jedem Hagelschlag u. dgl.
an den leidigen Unheilstiftei- zu denken brauchen.
Müssen wir aber der Aesthetik nicht eine andre Entschuldigung
mit auf den Weg geben? Sie hat ihre Grundlage im Sinnenleben! Und
was kann, so schreien Viele, Gutes aus dem Sinnenlebcn kommen?
Nun, das Sinnenleben mag sich selbst vertheidigen. Viele finden
zwar seine Vertheidiguug sehr plump: Ich bin da in der Welt; nun
macht, was ihr wollt; verzweifelt, wenn ihr Lust habt! Seinen Ver-
achtern aber möchte doch keine andre Entgegnung frommen. Wir
wollen sie bei ihrer vortrefflichen Weise belassen, die Sinneuwelt so
schlecht als möglich zu behandeln und alle Annehmlichkeiten, alles
Schöne, was sie bietet, zu versehmähen. Wer es mag, ist ein alter
niederdeutscher Spruch, der mag es, und wer es nicht mag, wird es
wohl nicht mögen.
Aber ein anderer Vorwurf wäre hier wohl zu berücksichtigen:
Die Piiege des Schönen, der Kunst entnervt. So lautet der Refrain,
den man gegen die Aesthetik unzählige lilale hören kann. Man beruft
sich dabei auf die Geschichte; man weist nach, dass eine Verfeinerung
der Kunst immer den Verfall des Volkslebcns mit sich geführt hat.
Schiller giebt in seinem zehnten Briefe über die ästhetische Erziehung
des Menschen die ausführlichere Anklage, um sie zu widerlegen. "Hält
man sich, sagt er, einzig nur an Das, was die bisherigen Erfahrungen
über den Einfluss der Schönheit lehren, so kann man in der That
nicht sehr aufgemuntert sein, Gefühle auszubilden, die der wahren
Oultur des Menschen so gefährlich sind; und lieber wird man auf die
Gefahr der Rohigkeit und Islarte die schmelzende Kraft der Schönheit
entbehren, als sich bei allen Vortheilen der Verfeinerung ihren er-
schlaifenden Wirkungen überliefert sehen. Aber vielleicht ist die
Erfahrung der Riehterstuhl nicht, vor welchem sich eine Frage wie
diese ausmachen lasst, und ehe man ihrem Zeugniss Gewicht einraumte,
müsste erst ausser Zweifel gesetzt sein, dass es dieselbe Schönheit ist,
von der wir reden und gegen welche jene Beispiele zeugen.... Dieser
reine Vernunftbegriff der Schönheit, wenn_ein solcher sich auf-
zeigen liesse, müsste also weil er aus keinem wirklichen Falle
geschöpft werden kann, vielmehr unser Urthell über jenen wirklichen