Die
Bildnerei.
Die Baukunst hat es mit der Schönheit des Unorganischen zu
thun. Die mathematische und statische Ordnung des Stoffes ist ihre
Aufgabe. Da werden die scharfen Formen in ihrer Genauigkeit an den
todten Stoff gelegt und dieser danach gebildet und zusammengesetzt;
die statischen Gesetze werden deutlich befolgt: der Bogen wirft seine
Last auf die Enden; die Säule, der Pfeiler stützt massige Belastung
mit kräftiger Gegenstrebung; Kraft tragt Kraft; die Vielheit wird ver-
bunden, geeint, harmonisch gemacht. Von Nachahmung ist dabei keine
Rede. Die unorganische Masse wird einem Zwecke gemass, aber nach
ihrer eigenen Gesetzmassigkeit behandelt, die nach den allgemeinen
Anforderungen der ästhetischen Vernunft geordnet wird. Die Nach-
bildung darf nur als ein Schmuck "hinzutreten, auch als solcher noch
meistens der mathematischen Umandcrung anheimfallend.
Anders die Bildnerei. Die Nachbildung des Organischen in seiner
vollen Körperlichkeit ist ihre Aufgabe. Sie arbeitet in ihren höchsten
Erscheinungen keine verborgen liegenden Gesetzmässigkeiten heraus, wie
man sie bei der Baukunst finden, wissen muss, um die Massen richtig
zu ordnen und sicher zu festigen. Sie baut nicht auf, nicht zusammen;
ihre Arbeit ist nicht in der Art innerlich, dass sie, dem Auge des
Betrachters verborgen, hinter der sichtbaren Form einen Haupttheil
ihres Schaffens habe, wie wenn Balken mit Balken verbunden, Stein an
Stein unten im Erdengrund schon zusammengesetzt, aneinander ge-
festet wird; wie nun Theil mit Theil sich verbinden und tragen muss
und sich tragen kann, der ganze mechanische Zusammenhalt kümmert
sie nicht oder doch nur in sehr bedingter Weise. Sie ist eine äusser-
liche Kunst; Ihr heiteres Gebiet ist die Oberfläche des Körpers, zu
Welcher die Baukunst nur langsam und gleichsam mühselig durchbricht,
indem- sie zuletzt auch äusserlich die krystallinischen Bildungen, die
mathematische Gesetzmässigkeit, die statische Ordnung des Unorga-
Ilischen zeigt, nachdem sie dasselbe durch ihr Wissen und ihre Kraft
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