Stilarten.
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zeigen, wo Idee und Form, Gonstruction und Erscheinung u. s. w. ein-
ander entsprechen. Das Einfachste, Zweckmässigste ist dabei die na-
türliche Grundlage. Eine einzige ausschliesslich herrschende Form,
wie nur Architrav-, nur Rundbogenstil u. s. w., ist nicht zu erstreben;
es wäre thöricht, der einenxwegen alle übrigen mit ihren Errungen-
schaften und Vortheilen auszuschliessen. Oder ist denn der erste Theil
des Faustes zu verwerfen, weil es eine Iphigenie giebt? Verschiedener
Inhalt verlangt verschiedene Form. Es braucht nicht Alles über einen
Leisten geschlagen zu werden; der Stil besteht nicht in einem Schema.
Unsere Zeit ist so viel umfassend, dass nicht eine Form unter allen Um-
ständen allen Forderungen gerecht werden kann. .Wenn nur jede Form
eine schöne, freie ist, d. h. nicht eine abgeschriebene und wohl oder
übel aufgezwungene, wenn die richtigen allgemeinen und nicht bloss
einseitige Grundsätze zur Geltung kommen, wenn stets aus dem Wesen
der Sache heraus geschaffen wird, wenn der Künstler nicht als Herrin
die Schule betrachtet, sondern nur als Lehrerin, dann wird ein Stil
geschaffen und solcher Stil gefallt.
Nur noch wenige Einzelbemerkungen, wie sie sich Wohl häufig
aufdrängen. Wenn unsere Baumeister sich doch für gewöhnlichen Haus-
bau bei dem Einfachsten beruhigen könnten und durch die" Verhält-
nisse, nicht durch falschen, kleinlichen und kümmerlichen Putz zu
wirken suchten! Das gewöhnlichste unverputzte Backsteinhaus von
guten Verhältnissen, die Stockwerke durch kräftigen Sims von ein-
ander abgehoben, die Fensterölfnungen markirt und zwar hauptsächlich
durch kräftigen Architrav oder den zum Ausdruck kommenden Stein-
bogen darüber, mit. einfachem aber bestimmtem Abschluss im Funda-
ment und gegen das Dach, wird charakteristisch erscheinen und besser
gefallen, als wenn es mit unverstandenen Decorationsformen über-
kleidet ist. Wenn man Stockwerke durch dünne Streifen gleich
Leistchen schon genug hervorgehoben und gesondert gezeigt glaubt,
so ist das verkehrt. Nachbildungen von Architrav oder Bogen müssen
so kräftig behandelt werden, dass sie auch geeignet scheinen, die
darüber liegende Last_ zu tragen. Die Fenster derartig zu behandeln,
dass der Mauertheilunter ihrer Oelfnung durch kräftiges Hervortreten
nicht als Füllung, sondern im Gegentheil als Hauptträger erscheint,
möchte trotz Vorgang grosser Meister zu missbilligen sein. Leichte,
vorstehende Holzdächer auf massige Faeaden stellen, wie man heute
häufig genug sieht, heisst einem Geharnischten einen Stroh- oder Filz-
hut aufsetzen. Ueber den zu häufigen Gebrauch Hacher Bogen-bei
Thüren und Fenstern, wo man beim Verputz doch den wirklichen
Mauersteinbogen durchaus nicht ausdrückt, liesse sich gleichfalls rech-
ten. Im Allgemeinen sind flache Bogen da geboten, wo sie spannen
und die ganze Wucht, welche sie nach ihren Enden werfen, gegen
kräftige Massen schieben können. So bei Brücken, Hallen zwischen
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