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Die
Baukunst.
sernenartigen Bau übermacht hat. Doch ist an den besseren Werken der
Baroekzeit und der Zopfzeit ein nicht ldeinlicher Sinn, Kühnheit der
Raumverwendung und der Disposition und innere Ueberzeugungskraft
hervorzuheben. Die Baumeister wussten meistens, was sie wollten und
schufen im guten Glauben an sich und ihr Werk. Das ist mehr, als
man auch heute noch von vielen Neubauten, welche auf Kunst An-
spruch machen, aussagen kann, bei denen dadurch das Hässliche nicht
einmal characteristisch erscheint.
Ueberblicken wir kurz die Bauthätigkeit der Völker in den letzten
Jahrhunderten, so sind die Franzosen in einer Hinsicht hervorzuheben.
Sie haben immer die übergrossen einförmigen Dachmassen der Steil-
dächer bei Hacherer Dachung wie beim griechischen Tempel er-
scheinen die Flächen durch Verkürzung kleiner und treten nicht so
vor zu beleben gesucht. Ihre hlansardenbauten zeigen wenigstens,
dass sie ein richtiges Gefühl davon hatten, wo eine I-Iauptsehwierig-
keit liege und gehoben werden müsse. Die Italiener haben in den
alten Formen sich weiter bewegt, ohne Bedeutendes zu leisten. Die
Engländer waren so klug, ihren normannisch-englischen Stil beizu-
behalten, wo er irgend angebracht war, obwohl sie ihn nicht zu be-
leben vermocht haben und ihn eben so nüchtern anwenden, wie den
italienischen Stil, wo sie diesen, wie namentlich in den Palast- und
Villenbauten, herübergenommen. Statt einer schönen Freiheit zeigen
sie oft unglaubliche Barockheit, wenn sie Originalität zu beweisen
suchen. Doch ist zu bemerken, dass sie bei ihren grösseren Bauwerken
sehr häufig bedeutende Wirkung erzielen, weil sie nicht kleinlich sind.
Deutschland war gänzlich im Schlepptau anderer Nationen. Ita-
liener, Franzosen, Niederländer wirkten wie in anderen Beziehungen
so auch auf die Architectur maassgebend ein. Wie Göthe, als er sich
der Form zuwandte, auf die griechische zurückging und in der Iphi-
genie und im Tasso die Harmonie derselben mit dem modernen Geiste
anstrebte über die Versuche und Stile der Franzosen und Italiener
hinweg und, so weit es ging, erfüllte, so lässt sich das Wirken
SchinkeYs auf dem_ Gebiete der Architeetur auffassen. Doch ist ein
fester allgemeiner Stil noch nicht erreicht. Die Bestrebungen, die wir
heute sehen, gehen weit auseinander. Man versucht alle und ficht für
alle Stilarten. Am komischsten macht sich dabei, wenn die Lösung
darin gefunden wird, alle unter einen Hut zu bringen, wenn man Ar-
chitravbau, Rundbogen, Spitzbogen, Hufeisenbogen und Gott weiss
welche Besonderheiten aller Stile über einander thürmt. Die Verwen-
dung des Eisens zum Bauen, Eisen- und Glasconstruction, kommt hin-
zu, um die Verwirrung vollständig zu machen.
Sobald sich unsere Architecten daran gewöhnen, die Sache selbst
und nicht ihre geschichtlichen Formreminiseenzen zu fragen, hat es
übrlgens mit der Stilvielheit nicht so grosse Noth. Stil wird sich