Der
und gothische
romanische
Stil.
315
Wohlgefallens liegt. Die Kunst" muss allerdings den starren Zwang
auch hier aufzuheben und zum Ausdruck schöner Freiheit hinüberzii-
führen wissen. Sie soll nicht stecken bleiben im starren Ausdruck
sehwerfälligen Beharrens, wie ihn z. B. vielfach die ägyptische und die
älteste dorische Bauart zeigt. Aber sie muss sich dagegen doch hüten,
das Grundprincip zu verletzen und Künstlichkeit zu zeigen, indem sic
mit technischer Virtuosität nun alle Ruhe in Bewegung auflöst, wie dies
in manchen Bauwerken der ausgebildetsten Wölbungsweisen geschieht.
Alles in's Strebende, Schwebende, Springende u. s. w. aufzulösen ist in
der Architectur nicht Kunst, sondern Kunststück. Der schöne grie-
chische Stil und die einfacheren Wölbungswveisen sind für sie, was die
Natur für die anderen Künstler, indem dieselben die natürlichsten
schönen Bauweisen repräsentiren.
Der romanische Stil entwickelte mehr und mehr die Formen der
Basilika zur Kreuzform und zwar zum sogenannten lateinischen Kreuz.
Sodann zog er den Thurm zur Kirche und brachte überhaupt die Thurm-
entwicklung für die Aussenerscheinung zur hohen Geltung. Den Rund-
bogen des römischen Stils hatte er beibehalten. Die Hauptenturicklung
geschah durch kunstverständige liiönchsorden. Im Ganzen behielt der
Stil nach Aussen viel Geschlossenes, Ernstes. Das reichgegliedeite
kirchliche Gebäude war mit der Aussenwelt durch die nach Aussen sich
erweiternde, einladende Pforte, sonst aber nur durch verhältnissmässig
wenige" Fenster in Verbindung gesetzt. Die äussere Masse machte
meistens einen geschlossenen Eindruck. Dies ward anders, als das
Bürgerthum, die Laienwelt sich der Bauthätigkeit bemächtigte und
der gothische Stil ausgebildet wurde.
Die Frage, wie der gothische Stil entstanden, wird bekanntlich
sehr verschiedenartig beantwortet und ist eine sehr strittige. Hat sich
durch den Einduss der Muhamedaner der Spitzbogen bei den sicilischen
Normannen entwickelt? (Der Spitzbogen kommt schon in den Pyra-
midengängen vor, sodann an frühen islamitischen Bauten.) Ward er
von diesen in ihr Geburtsland, nach Nordfrankreich gebracht? Hängt
der Spitzbogen mit den steilen Dächern zusammen? Er hat sich nur in
Ländern mit steilen Dächern recht festgesetzt und erhalten. Oder ist
der Spitzbogen einzig und allein wie gewichtige Stimmen behaupten,
(Bötticher: Tektonik der Hellenen, Viollet-le-Duc u. durch con-
structive Rücksichten aus dem Rundbogen hervorgegangen, indem man
mit ihm z. B. ungleiche Weiten in gleicher Höhe überspannen kann,
indem durch ihn, wenn er hoch ist, der Seitenschub verringert wird
u. s. w.? Haben innere Motive ihn begünstigt? Seine Höhe zieht die
Gemüther hinauf; das klarere Licht der Halbkreiswölbung wird in
seinen Graten dämmernder, mystischer. Seine beiden Bogen haben
verschiedene Mittelpunkte, ob sie nun in die Mittelweite, in die ent-
gegengesetzten Pfeilerecken oder über diese hinauswcisen. Es ist ein