Griechische Baukunst.
305
nicht gedacht werden kann. Ueberall Natur und doch überall Kunst!
Ueberall ist die Materie durchgearbeitet, überall Verständigkeit, Maass,
Ruhe und Schönheit.
Will man den Unterschied der schönen dorischen Tempelform und
des gewöhnlichsten Nutzbaifs sehen, so nehme man im Ganzen dieselbe
Form, lasse aber die Säulen ganz gleichmässig in die Höhe laufen, ohne
Canellirung, lasse sie stumpf ohne Echinus und Abakus gegen den
Architrav stossen, werfe das Mittelgesims (die Triglyphen- und Mete-
penreihe) heraus und lasse das Dach, kranzlos auf dem Arehitrav
ruhen und eine hässliche oder die gewöhnlichste Schcuerform mit
Umgang, erscheint anstatt des herrlichen Kunsthaus, den Menschen im
Architravbau in Stein erdichtet haben. Nichts ist geeigneter, als in solcher
Weise das Wesen des Schönen durch die Formen sich klar zu machen.
Der ionische Stil zeigt mehrere Verschiedenheiten. Er findet seinen
Hauptausdruck in der Säule.
Bei dem Hineintreiben eines Pfostens werden die der Feuchtigkeit
der Erde ausgesetzten Holztheile schnell zerstört. Stellt man einen
Pfosten auf eine Steinunterlage, die ihn über die Nässe hebt, so wird
dieser Nachtheil vermieden. Natürlich wird in solchem Falle der Baum-
stamm nicht oben zerschlagen und breiter auseinander gesplittert, wie
dies bei der dorisehen Säule der Fall war. Er bleibt unverändert. Um
den Nachtheil der zu kleinen Fläche zu heben, kann man also einfach
eine Platte darüber legen, worauf dann die Architravbalken bequemer
liegen können. Will man die Platte selber vor Herunterrutschen vom
Säulenschaft bewahren, so ist das Einfachste, die Säule in die Platte
hineinzuzapfeil, so dass an allen Seiten die Platte übersteht, nament-
lich aber an den Seiten, wohin der Schub geht. Werden nun die Ecken
dieser Platte oder des Bocks, denn das Ueberfassen erfordert eine
grössere Dicke, abgestossen, um sie mit der Rundung der Säule in
Harmonie zu setzen und zugleich auch eine Ueberleitung zur Horizon-
talen zu bilden, so bekommen wir die Schnecke oder_Volute der
ionischen Säule.
Dies wurde beim Steinbau festgehalten. Die Unterlage wird zum
Pfühl, zur Plinthe, viereckig oder rund; Einschnürung und Wulst ver-
mitteln mit der runden Säule. Die Säule selbst wird höher und
schlanker, weil, könnte man sagen, der Baumstamm ja durchaus frei
steht und nicht zum Theil in die Erde getrieben wurde. Die Säule wird
nach demselben Princip mitßanellirungen versehen. Das Kopfpolster
wird geschmückt, indem die Rundung in Spiralen fortgesetzt wird, in
den Voluten. Möglich auch, dass diese Voluten durch eine alte Ge-
wohnheit entstanden sind, die Widderhörner der gGOPfGFt-BI] Thiere
an diese Platten zu befestigen, wie von Einigen angenommen wird.
Man ersieht aus dieser Erklärung der Säulen, warum man bei zwei
Säulenreihen übereinander eine ionische Ordnung auf die dorische zu
LemckcsAesthetik. 2. Anli. . 20