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Die Baukunst.
Ausdruck der Analogie begnügen kann, ist nach dem früher Gesagten
nicht mehr des Näheren auseinander zu setzen. So wird z. B. dort,
wo zwei Theile zusammentreiten und zusammenhalten sollen, dieser
Zusammenhalt angedeutet durch ein Band, einen Ring, Schnüre u. drgl.
Dieses gemalte oder gemeisselte Band giebt keine wirkliche Bindung,
sondern ist nur ästhetischer Ausdruck, eine Versinnlichung der ver-
borgenen Kräfte, ein Wahrzeichen für die Vernunft, welches lehrt, dass
dort ein Halt nothivendig ist und in der Construction erfüllt ward. Der
ganze ästhetische Ausdruck alles dessen, was zur Gonstruction in der
Baukunst und zur Characteristik gehört, geschieht nach dieser Forde-
rung der Harmonie zwischen Wesen und Erscheinung. Höchste elas-
sische Schönheit zeigte darin die griechische Baukunst, ewiges Muster
einfachen Ausdrucks und natürlicher Charaeteristik.
Harmonie zwischen Wesen und Erscheinung in Bezug auf das
Material und dessen Stil ward schon besprochen; nur sei hier noch
einmal hervorgehoben, dass durch den Schein künstlicher Bildung,
durch Bemalung, Bewurf, Verkleidung u. s. w. andere Formen nicht
allein erlaubt, sondern geboten sind, als die dem eigentlichen Material
entsprechen.
Was die Verhältnisse, den Rhythmus, die Eurhythmie u. s. w. be-
trifft, so müssen wir uns hier auf das Allgemeinste beschränken und
theils auf das Frühere, theils auf die Stilübersicht verweisen. Die
Architectur beruht auf den Raumverhaltnissen. Sie ist hauptsächlich
messende Kunst (sie gründet sich auf messendes Sehen, wie Vischer sagt).
Jeder Aufriss, bei welchem Material u. s. w. direct noch gar nicht in
Betracht kommt, zeigt uns die Wichtigkeit der blossen Formverhält-
nisse. Die schwierige Lehre von den Verhältnissen ist desshalb stets
Gegenstand der Forschungen gewesen. Wenige Bemerkungen darüber.
Das Gleichgewicht findet seinen höchsten Ausdruck in der Symmetrie.
Nach der Breitentheilung ergiebt dieselbe als ruhigsten Ausdruck
Gleichheit zweier sich entsprechender Theile. Für ungleiche Ver-
hältnisse ward Zeising's Proportionslehre besprochen. Ein Beispiel aus
seiner Untersuchung der Anwendung des goldenen Schnitts für die
Baukunst: (Siehe Fig. 12.) „An dem schönsten und vollendetsten
Werke der griechischen Baukunst, dem Parthenon zu Athen, ver-
hält sich die Höhe (von der Grundlinie der Treppe bis zur Spitze
des Giebels) zur Lange des Architravs genau wie diese zur Summe
beider, so dass die Höhe als der dem Major senkrecht aufge-
setzte Minor zu betrachten ist . Theilt man die Höhe nach dem
goldenen Schnitt, so reicht der längere Untertheil gerade bis zur
Grundlinie des Gebälks, der kürzere Obertheil von da bis zur Spitze
des Giebels." Zeising führt in dieser Weise die weiteren Theilungen
durch. Woltf (Beiträge zur Aesthetik der Baukunst) entwickelt seine
Lehre vom Grössenverhältniss aus der abgeschlossensten und be-