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Die Baukunst.
zuerst in graser- und thierreichen aber holz- und steinarmen Gegenden.
Sie sind leicht zu transportiren; dem zahmen Vieh kann man sie mit
Bequemlichkeit aufbürden. Aber jede Person unter einem besonderen
Schirme, hiesse nichts anderes als in seinem Rocke schlafen. Es ist
die Geselligkeit, die der Mensch verlangt, ein Schutz soll mehrere Per-
sonen vereinigen; das einfachste Mittel ist nun die Decken derart aus-
zuspannen, dass sie sich über einen weiteren Raum ausdehnen, ohne
den Bewegungen der darunter Sitzenden hinderlich zu sein ein Zelt
zu machen. Eine einzige Holzstange genügt nöthigen Falls; sie wird
in die Erde gestossen und das Zelt darüber gespannt und befestigt;
leicht wird es sodann an die Erde gepflückt. Auch die Holzstange ist
unschwer zu transportiren. Dieses Zelt findet sich bei allen Nomaden,
es giebt das Spitzdach. Grösserer Holzreichthum und grössere
Transportmittel, z. B. der Gebrauch von Karren und Wagen, werden
häufig diese Form verändern und Zelte zum besseren Abtliessen des
Regens über mehrere Rundstabe gespannt oder auch geraumigere Lang-
zelte ermöglichen. Aber das Spitzdach bleibt nichtsdestoweniger die
Grundform für das Haus des Nomaden.
Anders ein Bau in holzarmen Gegenden, wo kein Wanderleben
stattfindet. Ackerbau bei Holzmangel wird die Menschen zwingen, die
Erde selber zum Wohnsitz zu erwahlen. Man muss sich in dieselbe
hineinwühlen; dabei aber ist man gezwungen, eine Menge Erde heraus-
zuwerfen. Nichts ist natürlicher, als diese herausgeworfene Erde zum
Schutz gegen das durchsickernde Regenwasser über den Bauplatz zu
schütten, statt sich damit den Eingang zu versperren. Wir erhalten
dadurch von selber eine Knppelform, ein Gebilde, was an Maulwurfs-
und Ameisenhügel erinnert. Armenien, Kurdistan und Tübet liefern
uns solche unterirdische Häuser mit Backofendaehern.
Waldbewohner haben nicht wie die Nomaden der Steppen Veran-
lassung, mit den Stützen für ihr Dach zu sparen. Das Dach aber wird
auch ihnen am bequemsten sein. Das einfachste für ein Jagervolk oder
überhaupt für Waldbewohner ist, ein Schirmdach über einen horizontal
stehenden Ast eines Baumes oder über einen schief aufsteigenden Baum
zu werfen. Möge dieser Schirm nun aus Fellen, aus Baumrinde, oder
aus Zweigen, die mit Gras, Rasen u. drgl. bedeckt sind, bestehen. In
steinlosen aber holzreichen Gegenden, die zum Ackerbau benutzt wer-
den, wird ein solches Langdach, gebildet aus Holzstützen, gedeckt mit
Rohr oder Stroh oder Rasen ebenfalls das Einfachste sein. So finden
wir es denn auch noch heutigen Tages z. B. in Norddeutschland. Die
ganze Wohnung ist ein kaum über die Erde gehobenes Langdaeh; ja
die Scheunen sind nicht selten nur solche Langdächer ohne jegliches
Mauerwerk.
Der Bewohner klüfte- und höhlenreicher Gebirge wird Kluft und
Höhle zum Wohnsitz erwahlen. Sein Bestreben wird es sein, dieselben