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Baukunst.
Die
zu aehten, z. B. schöne Verhältnisse des Ganzen und der Theile zu
einander, Einheit in der Mannigfaltigkeit, Regelmässigkeit u. s. w.
zu berücksichtigen und danach zu streben, sobald beginnt die Kunst.
Es ist daher auch nicht richtig, die eigentliche Baukunst, wie wohl
geschieht, auf das Gotteshaus zu beschränken; die specielle religiöse
That ist dabei nicht unbedingt nöthig, sondern nur jene allgemeine, in
welcher der Mensch seine höhere göttliche Fähigkeit zeigt, die im
Streben nach dem Schönen sich kund giebt, und worin er mit Bewusst-
sein dessen Anforderungen zu genügen sucht. Einen Bau graben sich
allerdings auch Dachs und Fuchs und richten sich ihn bequem ein; das
Thun des Menschen steht in seiner Sphäre nicht höher, so lange er nur
das Gleiche, Schutz und Bequemlichkeit bezweckt und sich um Anderes
nicht kümmert. Nach Schönheit, Zwecklos-Wohlgefalligem muss ge-
strebt werden, soll Kunst entstehen. Diese wird sich nun allerdings
meistens am Gotteshaus im höchsten Ausdruck zeigen, indem die
höchste Idee, die Gottheit, bei allen ästhetisch ausgebildeten Völkern
durch Schönheit und Erhabenheit zu höchst- gefeiert urird. Aber ähnlich
alle Werke, welche Ausdruck der Ideen einer Vielheit sind und für
dieselbe von hoher Bedeutung erscheinen. So das Gebäude, welches
den Vereinigungspunkt des Staats darstellt, Königspalast, Regierungs-
haus, Ständehatis; so Palast überhaupt, Forum oder Markt, Theater
u. s. w. Auch das Privathaus kann in seiner Weise ebensogut Ausdruck
schöner Baukunst sein, nur dass es meistens den Gebäuden für die all-
gemeine Menge oder Vielheit des Volkes an Grösse, Pracht u. s. w.
nachstehen wird.
Die allgemeine Geistesrichtung eines Volkes, geographische, kli-
matische Verhältnisse, der Zweck und das Material bedingen den Stil
der Baukunst. Durch Anlage und Geistesrichtung werden wir mehr
oder weniger in einem Volke ein grösseres Streben nach Klarheit der
Verhältnisse, nach Weite, Höhe des Raumes und dgl. tinden, als bei
einem andern. Enger, beschränkter Sinn wird sich auch in den Bau-
formen, mit welchen er sich timgiebt, aussprechen; ebenso ein freier,
maassvoller, so der ungebundene Sinn u. s. f. Ein Volk drückt seinen
Gesammtcharactcr in dieser Weise in allen seinen Werken, somit auch
in seiner Baukunst aus. Gegen die Unbill der Witterung sucht es sich
zu schützen; die beste Form des Schutzes wird sich mit der Zeit heraus-
stellen und in ihrer einfachsten Form von Allen angewandt werden. Das
steile Dach z. B. ist gegen Regen und Schnee zweckmassiger als das
flache. Alle Glieder eineS VOIkS auch Völker unter ähnlichen Ver-
hältnissen werden es benutzen, soweit sie dieselbe Witterung empfin-
den. Die Sinneseigenthümlichkeit wird diese Grundform den Steildächern
anderer Völker gegenüber cigenthümlich zeigen. Gleiche allgemeine
Verhältnisse werden ferner sich gleich ausdrücken; z. B. ein acker-
bauendes Volk desselben Landes bei gleicher geologischer und klimati-