282
Baukunst.
Die
Massen stehen unter dem starren Gesetz der Schwere. Wir empfinden
Befriedigung, wenn wir die statischen Gesetze erfüllt sehen; was ge-
baut, d. h. zusammengesetzt, das muss vor allen Dingen, um wohlgefällig
auf uns zu wirken, den Eindruck des Sichercn machen, oder ein Gefühl
der Unsicherheit wird uns drücken, die Furcht uns ergreifen, dass das
Zusammengesetzte nicht in sicherer Ruhe verbleiben, sondern zusammen-
stürzen werde. Das Unorganische ruht; es gehorcht unabänderlich dem
Gesetz der Schwere. Darauf muss also jedes Bauen basirt werden. Was
die Gcsetzmässiglteit der Form anbelangt, so ist diese für das Unorga-
nische das Mathematisch-Bestimmte, wie früher auseinandergesetzt
worden. Dadurch, dass diese Gesetzmässigkeiten zur Erscheinung
gebracht werden, erzeugt sich das Wohlgefallen des Schönen. Die
statischen und mathematischen Gesetze beherrschen daher die Baukunst.
Wir können hier gleich sagen, dass die Ordnung, die Gebundenheit
deswegen in ihr dominirt.
Eine Verklärung des Unorganischen, eine Durchgeistigung des-
selben durch das Sichtbarmachen seiner Gesetze, durch das menschlich
vernünftige Bearbeiten des Naturstoffes, das, kann man sagen, bezweckt
der Künstler. Die schöne Ordnung giebt dem todten Stoffe Leben; Ge-
setzmässigkeit, Harmonie, Eurhythmie, Einheit und Mannigfaltigkeit,
ästhetische Vernünftigkeit walten in ihm, ihn beseelend. In der Ideal-
bildung drückt darum das Bauwerk die Schönheit des [lnorganischcn
überhaupt aus. Die wenigen Stoffe stehen für alle; die schöne Ordnung
wird zum Symbol für den Kosmos. Aus dem tiefen Borne solcher
Empfindungen und Gedanken muss der Künstler schöpfen, oder er wird
Stein zu Stein thürmen, Balken auf Balken legen, messen, berechnen,
schichten, und sein Werk wird doch das rechte Leben vermissen lassen;
er wird Handwerker, Nachahmer sein, kein Künstler. Aber ich will
hinzusetzen, dass der Architcet in solcher reinen, einfachen, aus der
Natur gezogenen Symbolik verbleiben muss und sich nicht in über-
kosmische z. B. in gelehrte theologische Ideen verirren darf. WVer die
Gottheit nicht durch die Ordnung des Unorganischen verherrlichen kann,
der mag zu Anderem Beruf haben; ein genialer Architect ist er nicht.
Es sind Massen, die in der Baukunst gehandhabt werden. So lange
der Künstler dieselben noch nicht leicht zu behandeln versteht, indem
er die Vermittelung zurischen inneren Schönheitsgesetzen und dem
starren, schwer zu behandelnden Material noch nicht gefunden, so
lange wird er durch die Masse selbst zu wirken suchen. So hat der
Steinbau Neigung in's Golossale zu steigen. Die Einförmigkeit, die
verhältnissmässige Armuth, Welche der ungeübte Künstler nicht zu
überwinden vermag, weil ihm der innere Schatz fehlt und er sich nur
an das Material und in rohester Weise an den Zweck klammert, die
wird mancher dadurch vergessen zu machen suchen, dass er uns durch
Grösse,_Masse einen überraschenden Eindruck bereitet. Hat er keine