Kunstgewerbe
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wandung, die nicht frei, sondern schluderig ist, auf Zerfahrenheit
schliessen. Der Hosenteufel, das Geschlitzte, Gebauschte, Geputfte,
Verzackte u. s. W. ist nur in einer ungebundenen, haltlosen, übertrie-
benen, willkürlichen Zeit möglich. Gebranntes, Gekräuseltes deutet
auf formelle, peinliche Beschninkiliig, die mit der grössten Ausgelas-
senheit verbunden sein kann. Im Elisabethkragen steckt Kniebeugung,
Handkuss, Ceremoniell; ähnliches im Jabot, in der gekräuselten Hand-
manchette. Welche schöne, freie, natürliche Tracht herrschte dagegen
bei den Römern und Griechen!
Sehen wir unsere Tracht an, so sollte man meinen, dass deren
Schnitt selbstverständlich nach dem Körper zu markiren sei. Entweder
soll man also theilen nach Ober- und Unterkörper; das giebt die Jacke.
Oder man lässt den Rumpf als Ganzes hervortreten, ohne Taille in der
Joppe und im Hemd, mit Taille im Rock und im Hemd mit Gürtel.
Zieht man noch den Schenkel hinzu, so muss der Schnitt dicht über
dem Knie sitzen d. h. das Gewand muss bis dahin fallen, das Knie selbst
aber frei lassen; in der Mitte den Schenkel zu durchschneiden er-
scheint hässlich. Bei einer Verlängerung darf man wieder nicht das
Knie durchschneiden, sondern müsste dieses mit bedecken und den
Schnitt unter dem Knie abschliessen lassen. Verkehrt wäre es wieder
bei weiterer Verlängerung die Wade auseinander zu schneiden, son-
dern das Gewand müsste bis auf den Knöchel hinabreichen. Am Arme
giebt der Ellenbogen durch seine Form keinen so guten doppelten Ab-
schluss wie das Knie. Oberhalb des mächtigen Oberarmmuskels, wo
der Arm von der Schulter absetzt, dann am Handgelenke sind hier die
gegebenen Schnitte, wonach der Arm mit Hand sich als ein Ganzes
zeigt, während die Schulter zum Rümpfe gezogen wird, oder Hand und
Arm gesondert erscheinen. Das Alterthum hatte jenen Schnitt; auch
die jetzigen Frauenhemden und zeitweise die Kleider reichen die
Schultern bedeckend bis zum Arme. Auf die Gefahr hin, zu den be-
kannten Kleidererfindern gezählt zu werden, möchte ich für Turner
zum Turnen ein ähnliches Hemd vorschlagen, das doch wenigstens den
kräftig ausgebildeten schönen Arm zeigen würde.
Bei unserer Bekleidung wird die Symmetrie des Körpers ein-
gehalten, freilich in welcher Art! Die Alten verstanden die Gesetze
von Freiheit und Ordnung anders. Während der nackte Körper die
reichste Mannigfaltigkeit durch das lebendige Spiel der Muskeln zeigt,
wird bei unserer I-Iülsenform eine unbelebte, womöglich rund aus-
gestopfte Schale geschaffen. Beides, sowohl die Körperformen als
die lebendigen, reichen Falten des Gewandes, sind ausgeschlossen. Die
Krebsschale Scheint häufig das Idol; sie nützt als Kürass; der Kürass
hat wieder unsere Tracht beeinflusst. Im Gegensatz zu unserer oft
übertriebenen Symmetrie, die in ihrer mathematischen Peinlichkeit als
Uniform dem Künstler so verhasst wird, weil sie gleichsam ihre dürre