Kunstgewerbe.
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angenehmen Töne hervorbringen." „Den Gegensatz zum Atlas bildet
der Sammt So wie die Seidenfäden, der Länge nach betrachtet, das
glänzendste Gespinnst (mit Ausschluss der Metallfäden) sind, ebenso
absolut glanzlos d. h. lichtabsorbirend oder vielmehr die Theilung der
Lichtstrahlen in aufgenommenes und retlectirtes Licht verhindernd, ist
eine Oberfläche, die dadurch gebildet wird, dass unendlich viele quer
durchschnittene Seidenfaden aufrecht nebeneinander stehen, wie dieses
beim kurzgeschorenen Sammt der Fall ist." Semper will die Tiefe, die
der Sammt gestattet, benutzt wissen. Seine Pracht bestehe neben der
Fülle und Grösse seines gerundeten Faltenwurfes in dem atlasartigen
Schimmer der seitwärts betrachteten Theile, neben der tiefsatten aber
glanzlosen Farbengluth derjenigen Partien, auf welche der Blick verti-
eal gerichtet ist.
Man denke, um einen Blick zurück zu werfen, für Flachsgewebe
an vergilbte Leinewand; dieses Gelbliche berührt uns unangenehm; man
giebt ihr dagegen gern etwas Blaue. Die weiche, rauhliche Wolle duldet
keinen Schillerglanz und keine Spiegelung von Lichtern, dergleichen
beim Abwetzen entsteht, während wir doch sonst das Schillern wohl
gern haben. Ihr Weiss darf im Gegensatz zum Leinen nicht zu kalt
sein; ein leiser Purpurton, d. h. ein leichter, röthlicher, Warmer An-
hauch eignet sich am besten. Aehnlich wie bei der Wolle ist dünner,
abgesehabtü Sammt seiner Idee widersprechend und unerträglich.
Ein Gewand soll den Körper schützen oder verhüllen oder beides.
Dabei darf aber der Eigenthümlichkeit des Stoffes keine Gewalt an-
gethan werden. Zwischen zwei Extremen liegen nun alle den Körper
bedeckenden Bekleidungsarten; das eine baut gleichsam eine Hütte um
den Menschen, das andere legt sich hautähnlich an den Körper. Es
ist klar, dass dort der Stoß" für sich wirken muss und Hauptsache
wird, während im letzten Fall der Stoff gleichsam nur eine Zuthat zum
Körper wird, dessen Formen maassgebend erscheinen. Dort also das
Gewand in seinen Falten, Brüchen, mit seiner Farbe, den Lichtern und
Schatten und Reliexen sich frei entfaltend; hier die Linien und Schwel-
lungen der Glieder, der Muskeln. Die classischen Völker verstanden
die Vereinigung von Gewand und Körper besser als unsere Zeit, die
den Umhang und das Anliegende zu der Mittelmässigkeit einer Kleider-
hülse zusammengezogen hat. Sie zeigten die Körperformen und die
Gewandformen in ihrer Schönheit. Ihre Bekleidung war weit, daneben
zeigten sie den Körper, specieller die Bewegungsgliedei- frei. Der
Leibrock fiel bequem, faltig am Körper bis zum Knie nieder, durch
eineniGürtel gehalten; der wollene Mantel ward umgeworfen und
schützte den Körper, immer nur den eigenen Gesetzen in Wurf und
Falten folgend. Hier wurde das Princip befolgt: Körperschönheit und
Gewandschönheit neben einander. Die Germanen liebten enganschlies-
sende Tracht. Körperschöuheit stand dabei voran. Durch das Mittel-
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