Kunstgewex-be.
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die Speeialwerke über die einzelnen Zweige dieses ganzen Gebietes ver-
weisen. Es kann hier nur darauf ankommen, das Prineip klar zu machen.
Bahnbrechend ist dafür Sempers Werk: Der Stil.
Nehmen wir die Töpferei. Es soll aus Thon ein Gefass gebildet
werden zur Aufbewahrung von Flüssigkeit, geeignet dieselbe auszu-
sehenken.
Eine nasse Masse hat das Bestreben nach dem Runden. Der Töpfer
arbeitet den nassen Thon auf der Drehscheibe, Welche das Rnnduugs-
prineip besonders zur Geltung bringt. Im Gegentheil zum harten Stein,
der geradlinig bricht, dessen Krystalle aus Geraden zusammengesetzt
sind, verlangt der Thon und was aus ihm gebildet den echten Thon-
character tragen soll, geschwungene Linien. Ein in dieser Form behan-
delter Stein wird leicht an Töpferarbeit, ein in jener Form behandelter
Thon an Steinhauerarbeit erinnern. Die Uebergänge werden hier Ver-
mittelt durch das Brennen des Thons.
Aus dem Material ergiebt sich also schon das Streben nach rundlicher
Form, dann aus der Technik; überdies strebt nun auch die Flüssigkeit,
die das Gefass aufnehmen soll, der Kugelform, resp. der Kreisform zu;
wir sehen also, dass Alles zusammentritft, um an dem vom Töpfer
[gebildeten Gefäss scharfe Ecken möglichst vermeiden zu lassen. Die
reine Kugelform, ward früher gesagt, ist in ihrer mathematischen Ein-
heitlichkeit mehr als Zwang erscheinend, denn die Eiform. Ausserdem
macht ihr Bauch bei grösseren Gcfassen sie vielfach unhandlicher. Sie
muss z. B. freier getragen werden, als die in längeren Linien sich an
den Körper mehr anlegende Eiform, wenn wir uns ein solches Gefäss
etwa in der Hand getragen denken. Nehmen wir also eine aus Thon
gebildete Eiform als das eigentliche Gefass an. Dieses kann nicht fest-
stehen. Entweder müssen wir also eine Spitze wegschneiden, und so eine
breitere Fläche herstellen oder wir müssen ihm einen besonderen Fuss
geben, d. h. es besonders zum Stehen einrichten. Welche Spitze des
Ei's aber nach oben oder nach unten nehmen? Semper weist vortrefflich
nach, wie für die Form die Art und Weise des Tragens in Betracht
kommt. Wenn ein Gefäss auf dem Kopfe getragen wird, wird man den
Schwerpunkt lieber in die Höhe verlegen. „Wer den Versuch macht
einen Stock auf den Fingerspitzen zu balanciren, wird dies Kunststück
leichter finden wenn er das schwerste Ende des Stoekes zu oberst nimmt."
Kommt es hauptsächlich auf sicheres Stehen an, so wird man den stumpfe-
ren Theil der Eiforln nach unten nehmen, in jenem Falle denselben nach
oben. Andererseits muss nun das Gefass eine Oeifnung zum Einfüllen,
wie zum Ausgiessen der Flüssigkeit haben. Hier ist ebenfalls wieder
in Ben-naht zu ziehen, 0b es darauf ankommt, viel mit einem Male zu
Schöpfen oder auSZug-iggsel], oder wenig. Je kleiner die Oeffnung, desto
weniger ist übrigens der Inhalt dem Verdunsten oder dem Hineinfallen
fremder Körper ausgesetzt. Wir haben in solchen oben und unten ab-