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Schöne,
Das
Wahre
und
Gute.
darin keine Befriedigung finden können. Die Welt lechzte nach einem
frischen Geistesquell. Sie war satt des Niehtglaubens, satt des mate-
riellen Genusses, den sie bis zum läkel (lurchkostet hatte, und müde von
den Anstrengungen, durch welche die Weltherrschaft errungen war und
in inneren und äussercn Stürmen bewahrt werden sollte. Sie wollte
einen inneren, seelischen Halt, sie bedurfte des Kasteiens, um von
der schrecklichen Wlerlotterung sich zu erholen; sie hatte übergenug
der 'l'haten und sehnte sich gleichsam nach deren Gegensatz: sie
lechzte nach Glauben. Da kamen die Jünger eines gekrcuzigten
Nazareners und predigten das Evangelium. Thut Busse und glaubet!
war ihre Lehre.
Der Glaube begann mit dem Clhristenthum seinen gewaltigen
Kampf gegen die bisherigen Machte (ler alten Welt. Die WVelt des
Schönen ward verworfen oder in den Glauben hineingezogen; nur der
geistige Mensch, das Seelenheil ward jetzt als wichtig betrachtet.
Auch die WVahrheit war nicht mehr ein Ziel um ihrer selbst willen:
sie wurde dem Glauben unterjoeht, der über die Begriffe des Verstandes
hinübergeslaaiiiit war und in einem Wunder sich zusainmentasste, das
jenseits aller Erfahrung lag. Abtödtnng des Fleisches, Abschliessung-
.v0n der Welt, Bussprcdigt, die Rechtfertigung (llllTili den Glauben, die
Schrecknisse des jüngsten (ieriehts und der llölle, Ketzerverdammniss
das waren Errungcnsehaften der neuen Zeit, die ihr Verhaltniss
zur alten bezeichnen, das in Kunst und Staatsleben gross gewesen war.
Solange das (Älhristenthurn mit dem Heidenthurn zu kämpfen hatte.
hielt es seine ethischen Principien fest und siegte. Nach dem Sieg,
als es das ästhetische Element und das Streben des Verstandes, die
Wahrheit aus sich zu finden, xiöllig daniedergeutorlen, die classisehe
Welt völlig verschüttet hatte, als eine neue, gänzlich veränderte XVelt
entstanden war, da begannen wieder aus dem Leben der Völker frische
Keime des Schönen und Wahren emporzuschiesscn. Diese gl'OSSl'
Periode vom Zerfall des antiken Lebens bis zum Beginn der Blüthc
des Mittelalters hat etwa 1000 Jahre gedauert. Das Erwachen des
selbständigen nationalen (ieistes der V ölkcr in bildenden Künsten und
Poesie, dann der Kampf des Papstthums und des Kaisertlnnns, der
geistlichen und der weltlichen Herrschaft bezeichnet den Beginn einer
neuen Zeit. Als das aufregende bunte Leben der Kreuzzüge die
Völker durchschüttclte und in Bewegung setzte, als die Städte Ihre
hohen Dome erbauten, als der Minnegesang des glänzenden Adels
erseholl und die alten Volkslieder wieder gesagt und gesungen wurden,
da war die Ausschliesslichkeit des religiösen Princips durchbrochen,
Wie Sehr ihm gerade die llauptliewegungem jener Zeit anscheinend
auch galten. Unter der Kimhc, und zum Dienst der Kirche, die bis
dahin die Herrschaft allein geführt hatte, hatten sich neue Kräfte ent-
wickelt, die sich jetzt zur Geltung rangen.