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oder er betont das Unwiehtige, Nebensächliche, er übertreibt dieselben.
Ueberall, wo eine unrichtige Ausdrucksweise sich zeigt,_namentlich, wie
sich von selbst nach dem Gesagten versteht, wo sie zur wiederkehrenden
Art und Weise wird überall ist Manier. Dass der Unterschied
zwischen Stil und Manier nicht in allen Fällen ein bedeutender ist,
dass eine Entscheidung sehr schwierig sein kann, dass der erbittertste
Streit sich wohl darüber durch die Zeiten zieht, ob etwas Stil oder
Manier sei, lässt sich leicht denken. Der Stil des Rococo-Geschmacks
ist z. B. manieristisch; der Stil der Minnesänger ward Manier u. s. f.
Zugleich sieht man ein, wie schwer es auf die Lange ist, sich selbst
nach erreichtem Stil von der Manier frei zu halten, eines wie frischen,
gesunden Blickes, eines wie ausgebildeten Natur-Verständnisses der
Künstler bedarf, das gefährliche Abwärtsgleiten zu vermeiden. Des
Natur-Verständnisses, sagte ich, darauf hinweisend, dass in der Betrach-
tung und im Studium der Natur das beste Gegenmittel gegen die Manier
gegeben ist. Ein unfehlbares freilich auch nicht, wo man nicht mit dem
Maasse nachhelfen kann. Ich wies schon darauf hin, wie der Mensch
oft ganz verschieden anschaut, auffasst, anders sieht. Die Empündung,
das Gefühl wird anders. In tausend Fallen ist dann durchaus nicht zu
helfen, so wenig zu helfen ist, falls das Talent überhaupt fehlt. Aber
wo man mit dem Studium, namentlich mit dem Maasse, sich immer frei
von Manier erhalten kann, da soll man es auch thun. Wenn ein Maler
in die Manier fällt, allen seinen Bildern einen violetten Ton zu geben,
weil er in demselben Alles sieht, so ist das ein anderes, als wenn ein
Zeichner seinen menschlichen Figuren Köpfe giebt, die nur U10, ja wohl
gar V14 der ganzen Körper-lange haben, Gestalten also schafft, die
weder im Himmel noch auf Erden zu finden sind, während er durch
einfache Anwendung des Zirkels sich von den grössten Ausschweifungen
seiner Manier heilen könnte. Das Schöne verlangt Wahrheit. Die
Manier ist unwahr. Am schlimmsten wird sie natürlich da, wo man
sieht, dass sie absichtlich gegen das bessere Wissen befolgt ist, seien
nun die Gründe, welche sie wollen, möge damit dem Geschmack eines
Einzelnen oder der Menge geschmeichelt werden sollen. Hier wird dann
die einfache lV['aniei' zur Lüge; schlägt sie als solche in einer Kunst-
epoche durch, so endet dieselbe natürlich in Fratzenhaftigkeit und
Albernheit. Dann heisst es mühsam die Wahrheit, das Schöne, den Stil
wieder suchen.