258
Stil.
Mm
den rüeksichtslosesten und damit einseitigsten Ausdruck giebt. Vielfach
wird sein geringes Können, die mangelhafte Technik ihn beengen, er
wird sich dann behelfen müssen, so gut es geht; wo er ein Ding selbst
nicht anbringen oder ausführen kann, wo es doch hingehören würde,
wird er sich leicht mit einer naiven, (oft auch barocken) Andeutung be-
gnügen. Vom Rohen, Plumpen, Ungefügigen, Starren wird ein solcher
Stil bis zum Strengen, Grossartigen gehen. Nehmen wir eine Dar-
stellung wie die beistehende. (Fig. 1.)
Ein Mann setzt einer Frau das Sclnvert
1„ ä mit der Rechten an die Kehle; mit der
1.: A i Linken hält er sie fest. Sie sucht mit der
f - a1 einen Hand das Schwert wegzudrängcn,
rfj - i mit der anderen macht sie eine bittcnde
.1: oder abwehrende Bewegung. Der Mann
" w" i ist dabei in Bewegung. Er setzt ein
M, i "f" Bein vor; dass man beim Schreiten die
l U i; Sohle des Fusses hebt, darauf kommt es
, (Ä, dem Künstler ilicht an; er ist befriedigt,
i, wenn die Bewegung überhaupt ausge-
f, drückt ist. Dabei will er uns einen kräfti-
ij, gen Mann schildern; er giebt demselben
55 Ü ii also sehr starke übermässige Glied-
1-- i maassen. Alles Einzelne kümmert ihn
nun weiter nicht; er hat seiner Idee Ge-
Fig-l- Alterthü'nnches Relief" spafm- nüge gethan. Entwickelt sich nun aber
eine tiefere Kenntniss, eine höhere Tech-
nik, ohne dass jedoch die Einfachheit sich verliert, die nur die Haupt-
sachen im Auge hat, so wirkt ein in diesem Geiste entstandenes Werk
imponirend, weil noch nichts Kleines, Zufälliges daran die grossen
Zuge auflöst, abglättct oder schwächt. Alles ist bedeutend, allgemein-
gültig, strenge. Ihren höchsten Ausdruck findet diese Kunst dann in der
Darstellung des Göttlichen, insofern dies allgemeingültig und frei von
jedem Kleinliehen gedacht wird.
Aber mit der Ausübung der Kunst geht ein Gesetz nach dem
anderen dem Künstler auf, wird sein Blick freier und tiefer, seine Hand
geschickter, der geistigen Erkenntniss zu folgen. Er gewinnt die Schön-
heit; er sieht das rege Spiel der mannigfaltigsten Kräfte. Seine Em-
ptindung und seine Kenntniss, sein Gefühl für die Hauptsachen, wie
sein Blick für die Nebensachen, seine Absicht und sein technisches
Können entsprechen einander. Nun schafft er das elassische Werk.
Jede Absichtlichkeit, jedes Abirren von der Grundidee, alles Kleinliche,
Zufällige ist vermieden und doch jedes Gesetz der Schönheit erfüllt.
Hat der Künstler z. B. die Göttin der Schönheit geschaffen, so zeigt er
uns ein Weib, aber eine Göttin, die hoch über der niederen, gemeinen