Stilartcn.
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Die allgemeinen gleichen Geistesriehtungen, wie sie durch Religion,
Sitten und Recht u. s. W. gegeben werden, bewirken in ähnlicher
Weise einen allgemeinen, gleichen Stil: christlichen Stil, Stil des Islam's
u. s. w. S0 können wir auch nach Zeitabschnitten theilen; doch brauchen
die einzelnen Arten der Zeit- oder Geschmacksrichtungen nicht naher
dargelegt zu werden, wie sie sich z. B. im byzantinischen, romanischen,
gothisehen, Rococo-Stil u. s. w. zeigen. Die besonderen Eigenthümlieh-
keiten in Anschauungen und Bestrebungen in Bezug auf das Alles, was
für das Wesentliche, Bedeutende in den Erscheinungen gilt, die bilden
sich ihren besonderen Stil.
Es genügt ein Hinweis, um zu erkennen, wie innerhalb einzelner
Schulen sich eine eigenthümliche Weise ausbildet. Hat der Lehrer und
Meister etwas als das Wesentliche und stets Hervorzuhebende hinge-
stellt, wird seine Lehre von den Schülern befolgt und nehmen die-
selben stets ihr Absehn danach bei ihren Arbeiten und bringen es zum
Ausdruck, so haben wir einen besonderen Stil. Sucht Jemand das
Wesentliche in der Ailffassungsweise und Behandlung eines Andern
nachzuahmen, so sucht er dessen Stil nachzuahmen. Wie Jeder gemäss
seiner eigenthümlichen Anschauung, Auffassung und Behandlung Ige-
wissermassen einen eignen Stil hat, ist leicht zu sehen; in seinem Stil
spricht er sich aus; aus demselben ist er vielfach zu erkennen: le style
c'est l'homme. Die Jahre, die Erfahrungen, Einwirkungen des Geschicks,
die besonderen Bestrebungen u. s. w. werden gewöhnlich den Menschen
und seinen Stil allmalig verändern; bei Einigen kann dabei ein ziemlich
unveränderter Grundton hindurchgelien; bei Anderen können Verände-
rungen eintreten, dass die verschiedenen Arbeiten einander durchaus un-
ähnlich sind und nicht mehr einen und denselben Urheber erkennen lassen.
Es hat, wie schon im allgemeinen Theil ausgeführt wurde, auch
jeder Stoff seinen mehr oder minder bestimmten Stil; so z. B. Holz,
Stein, Eisen, Wolle, Seide u. s. W. Damit Harmonie zwischen Wesen
und lalrscheinung herrsche, muss der Stil des Stoifes, den der "Künstler
benutzt, von ihm eingehalten werden. (Vergleiche hierüber Sempefs
Werk: Der Stil in den technischen und tectonischen Künsten.)
Bei normaler Entwicklung sehen wir in dem Kunstleben die allem
Leben gewöhnliche Entwicklung der Steigerung zu einem Höhepunkte, wo-
nach die Abnahme eintritt. In Bezug aufden Stil hat man danach gewöhn-
lich einen hiemtigehen, classischen und manierirten Stil unterschieden.
Im Anfang der Ausübung einer Kunst ist der Geschmack für die reine
Schönheit noch unentwickelt; unentwickelt auch das Können: die Tech-
nik. Der Künstler wie sein Volk sieht noch nicht richtig, ist einseitig
in seiner Anschauung. Er richtet sich nicht auf das Harmonische des
Gegenstandes, weiss noch nicht das Ganze zu umfassen, sondern halt
sich an Einzelnes, sei es, dass er eine besondere Eigenschaft besonders
hervorhebt, oder dass er seiner Idee, unbekümmert um alles Andere,
Lcmcke, Acsthetik. 2. Aufl. 17