Volltext: Populäre Aesthetik

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Der 
Künstler. 
in dem alles Unreine, Vergängliehe verzehrt oder die Schlacken (loch 
vom edlen Metall gesondert werden. Dieser Enthusiasmus weiss nicht, 
was er thut; er handelt instinetiv, er scheint blind, "rasend", wie ihn 
wohl die Alten genannt haben. Er ergreift den Künstler und das Wun- 
der geschieht, das Kunstwerk wird geboren. Durch ihn springt plötz- 
lich der dichterische Quell, die Worte strömen, die Bilder, die Gestalten 
ordnen sich dem bildenden Künstler, erheben sich vor seinen geistigen 
Äugen, die Töne rauschen dem Musiker, das Auge glüht, die Faust 
strammt sich  Fieber scheint den hienschen zu ergreifen. Nicht bloss 
der Geist ist in seiner höchsten Anspannung, auch die Pfand bekommt 
(iureh die Begeisterung gleichsam geistiges Getiihl. Das giebt ein 
Schaffen, wie es uns z. B. von Michelangelo Buonarotti erzählt wird: 
„YVer nicht selbst Zeuge davon gewesen, kann's kaum glauben! Er fiel 
mit einem solchen Eifer, mit einer solchen Wuth über den Marmor her, 
dass ich glaubte, das ganze Werkstück müsse in Stücke zerfahren. Auf 
einen Schlag löste er drei- bis vierzöllige Scherben ab und hielt sich 
dabei so genau an sein Muster, dass, wenn er den Marmor nur ein 
wenig weiter angegriffen hätte, er alles verdorben haben utürde." Doch 
wir haben es hier nicht mit den oft sonderbaren Aeusserungen des 
Enthusiasmus zu thun, der wohl dem starken liianne die Thranen in 
dieAugen treibt oder ihn sonst dem Profanen höchst wunderlich er- 
scheinen lässt. Dabei vergesse man aber nie, dass ohne Stoff die Be- 
geisterung; zu nichts hilft, sondern in der Luft verfliegt, dass Begeiste- 
rung und Stoff und Phantasie ohne ästhetisches Urtheil formlose Gebilde 
giebt. Es werden krause Gestalten, wie wenn Blei ints Wasser gegossen 
wird; die Formen fehlen dann, in die der Guss hineinströmen könnte. 
Wenn aber der Guss fertig geworden, dann muss noch die Feile daran. 
Freilich darf die Glatte der Kritik sich nicht störend verdrängen. Doel; 
es versteht sich von selbst, dass hier überall, mehr als je, das richtige 
Glcichmaass erforderlich ist. 
Die Unruhe, die. den Künstler ergreift, bis das Phantasiegebilde 
vor ihm steht, der Schöptungstrieb, ciann der Plntliusiasmus, in dem 
das innere Bild gezeugt wird, das nun gleichsam auf der Seele brennt, 
bis es in Wort oder Ton, Stein oder Farbe oder was es nun sei, los- 
gelöst worden, das ist nicht mit Unrecht von jeher für ein Wahrzeichen 
künstlerischer Begabung geachtet worden. 
Betrachten wir diese Begabung etwas näher. 
Wir pflegen Anlage, 'I'alent, Genie zu unterscheiden, Genie die 
höchste Begabung neuuend. Sollen wir dieses eharacterisiren, so könn- 
ten wir esam einfachsten die Kraft nennen, die den Kernpunkt der 
Dinge ergreift, die ohne Umschweife das Hauptgesctz findet, was den 
Erscheinungen zum Gi-iiiide liegt und vielleicht unbewusst mit diesem 
stets einfachen Gesetze kurz und sicher operirt, während alle Anderen 
sich mit verwickelten Operationen und mühevollen Zusammensetzungen
	        
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