Der
Trieb.
schöpfexische
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bare Vereinigung; der Mensch konnte nicht genug lauschen. Da suchte
er sie wieder; da horchte er, da klang die Saite fein, wenn sie kurz
und dünn war, dumpf und tief, wenn lang und stark. Da griff er sie,
wie er die 'I'öne hcrvorlockeu wollte und er stimmte das Instrument
nach dem Verlangen seines Ohres. Melodie und Harmonie fand er
Melodie und Harmonie, die wunderbaren Klänge, die selbst dem Hades
den Schatten zurückzufordcrn stark genug geglaubt wurden, mit denen
Orpheus die wilden Thiere zahmte und die Felsen bewegte, dass sie
sich aufschichteten nach seinem Willen.
Aber rastlos drang der Mensch tiefer. Als der Bau des Unorga-
nischen ihm leicht geworden, da begann er, immer noch im festen An-
schluss an das greifbare Material, das Organische zu betrachten. Er
staunte nicht mehr über den Schmuck, den er sich geschaffen und mit
dem er sich und seine Wohnung schmückte, über die graden Blöcke,
die er zugeha-uen, über die Massen, die er auf einander gethürmt, son-
dern die eigene Gestalt und das Thier, was er bis dahin nur benutzt,
sah er mit Erstaunen. Sich selbst zumeist. Dort war der Baumstamm,
lag der Thon, lag der Stein, den er schon zu bearbeiten gelernt. Bald
waren ihm die groben Formen des Leibes geläufig nachzubilden. Aber
auch das feine Spiel der Linien entging ihm dann nicht mehr. Nun
bildete er Thiere und Menschen, das Einzclwesen erfassend und nach-
schaifend, so dass es verkörpert vor ihm stand. Die Freiheit der Form
war gewonnen. Aber noch fehlte ihm die reiche Mannigfaltigkeit der
lürscheinungen, wie sie seinen Blicken sich farbig und im bunten Neben-
einander zeigen. Wohl hatte er schon versucht, auch sie zu fassen;
aber der Stoff, den er noch nicht gewagt hatte zu verlassen, hatte ihn
gebunden. Jetzt that er auch diesen Schritt. Malend bezwang er auch
den Schein, die ganze Schöpfung so für die Kunst ergreifend, bis er
Wald und Feld, Gebirge und Meere zu bannen wusste. Diese Stufe
der Kunst ward erst vor Kurzem, vor wenigen Jahrhunderten von der
Menschheit erklommen.
Der Künstlertrieb hatte indess nicht gefeiert, der die Dichtung
noch unter den Zelten, in Höhlen und Hütten gelehrt. Je weiter dem
Menschen die Welt sich aufthat, desto feuriger strömten die Worte des
Dichters; Erscheinungen besingenrl und tiefen Gefühlen der bewegten
Seele Ausdruck verlcihend. Die Lyrik, das Epos entzückten; das
Drama ward geschaffen. Ueber die hlrschcinungsfrcude hinaus hat sich
bald der Geist forschend den tiefer liegenden Gesetzen zugewandt, die
er nuiwmit dem Verstande erfassen konnte.
Aber nicht blos als todten Stoff hat der Mensch die Natur cr-
griffen, um daraus das Schöne erstehen zu' lassen; die lebendige hat er_
erfasst; eindringend in ihre Ordnung wehrt er dem Zufall und feind-
lichen Gewalten, ihren Gestaltungen Schaden zuzufügen; das zu Dürf-
tige nährt er, dem zu Ilcplvigcn wehrt er; dann auch in stäter Bildung
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