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Die
Völker der Neuzeit.
baren und vieler Weisen im Lande, dass die Deutschen sich der Politik
enthalten und getrennt bleiben müssten, um sich ganz den Wissen-
schaften und den Künsten zu widmen, für welche die bisherigen klein-
staatliehen Verhältnisse den besten Boden böten. Den Künsten! Als
ob nicht ein gesundes politisches Leben, ein kräftiges Volkstreiben vor-
hergehen müsste, damit das wahrhaft Schöne natürlich daraus erwachsc
und sich, wie nothwendig, zum Nützlichen geselle, als 0b ein politisches
Castratenthtnn die wahre Höhe künstlerischer Bildung geben könne.
Den Wissenschaften! Hat man je gehört, dass ein kräftiges stolzes
Volk schlechtere Gelehrte und geringere Erfolge in der Wissenschaft
erzielt hat als ein schwaches, krummrückigwis, stubcnhockentles? Es ist
Narrethei oder Schlimmeres, dem deutschen Volk ein gesundes politi-
sches Leben als schädlich vorzustellen; es ist verkehrt, wenn Deutsche
sich mit ihrem sentimentalen Idealismus begnügen. und vergessen, dztss
ihre Vorfahren auch im gesunden Realismus gross gewesen sind. Das
Dauerndste und Bedeutendstts ist immer (lurch ihn erreicht werden.
Seid Realisten! sollte man den Deutschen fortwährend zurufen. Denn
an Idealismus tragwn sie zmgenblicklich noch mehr als zu viel. B'reiIich
keine Nachüfter des Realismus der Franzosen, der den Deutschen fremd
und kalt erscheint! sie sollten sich vielmehrauf die Zeiten besinnen, wo
sie von der Elbe bis nach Russland hinein colonisirten, wo die Hansn
die nordischen Meere beherrschte, wo Dithmarser und Schweizer Bauern
oftmals Könige mit blutigen Köpfen heimsehiekten, wo die süddeutschen
Städte blühten, wo der nieder-deutsche Ilollander die Meere beherrschte.
WQ ein practischeres Studium, als solche alten Erinnerungen nöthig ist,
da sollte man für den Deutschen eine dreijährige Wanderschaft ein-
führen, wie früher für den Hamlwerker gesetzlich war. Diese W ander-
schaft aber müsste nach England oder America gehen, um wieder wei-
teren Blick n11d einen Begriff von Selbständigkeit zu gewinnen, die
über dem Hocken der Nation innerhalb ihrer Grenzen und Grenzchen
verloren gegangen sind.
Das Volksleben der Deutschen war fast überall gänzlich herab-
gekommen, wenige Gebirgsdistriete ausgenommen, wie z. B. in Baiern,
Tirol, dann in der Schweiz, die auch sonst wegen ihrer politischen
Lage eine Ausnahmsstellung einnimmt. Sonst gab es kaum ein Volks-
fest, kaum ein Vergnügen mehr, daran Alle gemeinsamen Antheil ge-
nommen hatten. Diese Oede stammte noch her aus dem 3lljährigen
Krieg; die unsinnigen Hoffeste des vorigen Jahrhunderts mit ihren
Paraden, Lustlagern, Feucrwerken, Maskeraden und sonstigen franzö-
sischen Grimasscn hatten nichts verbessert, sondern die Lage noch
verschlechtert, indem sie den Volkssinn gänzlich niedertrateil und ein
eigenes Erheben verhinderten. Schweigendes, höchstens applaudiren-
des Zuschauen und ein Volksfest, wie es dem Germanexi gefallt, sind
so verschiedene Dinge wie Schwarz und Weiss . . So setzte sich das