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Völker
Die
der Neuzeit.
gelassensten, kecksten Nationen zählte. Der „furor teutonicus" ist
schlafen gegangen und trägt die Nachtmütze des deutschen Michel, des
grossen ungeschlztchteten Michel, den seine kleinen Zuchtmeister und
die Fremden maassregt-ln. Seine Anlagen machen den Deutschen für
alle Künste begabt. Zeigt sich auch das germanische Element mehr
nach dem Wesen als nach der Form strebend und demgemäss der
deutsche Idealismus geneigter nach Ideen als nach Idealen zu ringen,
steht der Deutsche deshalb dem Italiener auch an Forlnfreudigkeit nach,
so besitzt er doch die Kraft, sich über seine eigene Natur zu erheben
und sich die Vorzüge Anderer, so auch die Formvollendung anzueignen.
Es giebt keine Kunst, in der nicht Deutsche mit jeder anderen Nation
wetteifern. Musik, Poesie und bildende Künste, in allen haben die
Deutschen Meister ersten Ranges aufzuweisen.
Aber weder Kunstbegabung, noch Wissenschaftlichkeit, weder der
Nützlichkeitssimi, der hauptsächlich im Niederdeutschen wurzelt, noch
die grössere, phantastischere Beweglichkeit des Süddeutschen nichts
hat den Deutschen vor dem tiefen Volksvcrfall geschützt, an welchem
er noch zu leiden hat und aus welchem er sich mühselig herausarbeiten
muss. Seine Vorliebe für Absonderung, die in übergrosser Selbständig-
keit ursprünglich ihren Grund hatte, und niemals durch ein andauern-
des allgemeines Regiment gcbändigt wurde, ist ihm, verderblich aus-
geschlagen. Nun ist die deutsche Kraft zersplittert, und hat sich bisher
in kindischer Verblendung selbst geschadet. Des Deutschen Vorzüge
konnten sich unter all' den Nachtheilen, mit welchen er zu kämpfen
hatte, nicht frei entfalten. Diese Nation, welche einst die bekannte
Welt als Herrin des Schwertes überzog, um die Völker aufzufrischen,
wird, nein! ward so kann man nach den Ereignissen des Jahres
1866 sagen von den anderen Nationen im besten Falle als dazu
bestimmt angesehen, die geduldigen Arbeiter zu liefern und allmalig
in sie aufzugehen. Welches fremde Völkchen wagte nicht, sich über
die Deutschen als Nation zu erlustigen! Welches grosse Volk achtete
uns in politischer Beziehung? Wofür wurden die Deutschen gehalten?
Als Auswanderer gut, um ein stetes geduldiges Arbeitstalent mitzubrin-
gen und die niederen Arbeiten zu verrichten oder gründlicher den
Boden zu cultiviren. Politisch dazu bestimmt, allmalig von den Fran-
zosen und Slaven verschlungen zu werden; von den Italienern an-
gesehen als Halbbarbaren, von den Panslavisten als die pedantischen
Schulmeister für die Slaven, als bestimmt, die Rolle der Griechen zu
spielen. während die Slaven jetzt die Rolle der Römer hatten. Deutsch-
land ein tretfliches Schlachtfeld, wegen seines Wohlstandes zur Ernäh-
rung fremder Heere wie geschaffen; seine kleinen Fürsten in der Weise
dienend, die der Freiherr von Stein so characteristisch gegen Alexander
von Russland aussprach; die grössereu Fürsten geeignet, sich ewig das
Widerspiel zu halten und dadurch die Nation in der für andere Völker