Der
Nordamerikancr.
Der
Deutsche.
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Volkssitte, hier Exeentricität; dort der krumme Rücken des Knechts
und orientalische Schiniegsainkeit, hier eckige, steife Bewegungen,
welche Jedem zurufcn: Ans dem Wege oder ich stoss dich. Der Nord-
amerieaner ist Verstandesmensch, noch practischcx- als der Engländer,
weil er gar keine Gemüthliehkeit kennt, scharf in jeder Hinsicht. Bis-
her hat er noch wenig oder keine Zeit gehabt sich mit den Grazien
zu befassen und kehrte daher gern das Flcgclhaftc heraus, um den
Mangel durch Beleidigung zu verstecken, das Exeentrische, um doch
in einer Weise Phantasie zu zeigen. Jetzt bereitet sich übrigens ein
gewaltiger Umschwung vor. Das Volk ist sowohl aus seinem Geld-
treiben aufgerüttclt als auch aus seiner thörichten Eitelkeit aufgestört,
in die es sich vcrrannt hatte. Alle europäischen Verhältnisse erschienen
ihm abgeschmzickt. Nun kämpft es selber in Verhältnissen, über welche
es früher geringscliäitzig die Achseln zuckte, und lernt deren Wucht
kennen. Eine Vertiefung des (Jharaeters steht jedenfalls zu hoiifen, wie
schwer auch die NVirren sein mögen, die es noch durchzumaellen hat.
Grossartig ist, was die Thatkrzift des Americaners in so wenigen
Decennien seit der (iründung der Republik gesehattfen. Es giebt kein
Beispiel, welches so schlagend zeigt, was ein Volk in ungehemmter
aber doch geordneter Kraft vermag. Dem Engländer, der den Stamm
bildet, gebührt das llaiiptverdicnst, wie sehr auch irisches, deutsches
und französisches Blut dazu beigetragen haben, dem Charaeter des
Americaners besondere Eigenthümliehkeit zu geben. Irländischem Blut
namentlich mag das Fahrige, I-Iastige, zuzuschreiben sein, welches Bruder
Jonathan kennzeichnet vor John Bull. Durchschnittlich ist der Nord-
amcricaner von langer, schlanker, ja dürrer, doch sehniger Gestalt mit
scharfen eckigen Gesichtszügen, welche energischen, leidenschaftlichen
Character verkünden. Zu Volksspielten hat er so wenig Zeit gehabt
wie zu Künsten. Seine Feste waren die politischen Kampftage, deren
Ernst, Aufregung und (lrossartigkeit bisher noch jede, mehr auf _Kunst-
sinn gerichtete, feineres Gefühl verlangende Belustigung niedergehalten
hat ähnlich wie in Rom, wo z. B. das Drama sich nur kümmerlieh
entwickeln konnte gegenüber den ewigen Schauspielen und 'I'ragödien,
welche die Triumphatoren aufführten mit ihren Legionen und besiegten
Königen, denen am Schlusse der Sehaustellung wirklich der Kopf ab-
geschlagen wurde.
Der Deutsche ist gemüthstiefer als jedes andere Volk. Realismus
und Idealismus liegen sich nicht in ihm wie im lüanzosen gegenüber,
sondern sind geeint, nur dass der gesunde Realismus noch immer unter
dem Schutt der letzten Jahrhunderte halb verschüttet liegt, gelähmt und
zerschlagen ist und der Idealismus deshalb ein unerfreuliches Ueher-
gewicht bekommen hat. Dieses Uebergewieht zeigt sich jetzt schädlich
und macht den Deutschen nicht phantastisch sondern träumerisch, nach
Aussen unpraetisch ihn, der bis in's 16. Jahrhundert zu den ans-