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Die
Völker
ler Neuzeit.
Eine Sehaar wohlberittener Reiter nicht auf den für das Nieder-
rennen bestimmten Schandmähren der spanischen Arena neckt den
Stier. Das wüthend gemachte Geschöpf verfolgt einen Reiter und nun
gilt es für die Andern das hinterherstürmende Thier beim Schwanze zu
packen und es seitswarts reissend wieder von dem Verfolgten abzu?
lenken. Schliesslich fängt der Lasso den Erbosten wieder ein und er
mag sich über seinen Zorn und seine Plage allmälig beruhigen. Dabei
reiten keine Söldlinge von Fach, sondern die rüstige Reiterjilgend ist
der Spieler, der „Mitgespielte" aber ist keiner grösseren Unbill ausge-
setzt, als eben bei jedem anstrengenden Wettkampf der Fall zu sein
pflegt. Volksbelustigung ist in Spanien ferner der Tanz, der noch echt,
in der Bewegung des ganzen Leibes sich erhalten hat.
Eine männliche Tugend hat den Spanier auch in den schlimmsten
Zeiten noch nicht verlassen der Muth.
Was dieser zu bedeuten hat, zeigte sich bis in die neueste Zeit
schlagend an dem Italiener, dem dies Eine, damit aber auch fast Alles
fehlte. Ueber seine Begabung für alle Formen der Kunst braucht man
kein Wort zu verlieren. Der alte classisehe Geist wirkt noch immer in
ihm und lasst ihn in allen Dingen einer Formvollendung zustreben. Er
ist darin antik, dass er in der Schönheit der Form sein Genüge findet
und ein Vorwiegen des geistigen Elements durchaus nicht erstrebt.
Der Italiener ist wohlgebildet, häufig schön. In Allem, was er
thut, hat er einen gewissen Stil, der weniger gemessen als der des
Spaniers, weniger leicht als der des Franzosen, Festigkeit und Leich-
tigkeit verbindet und nur durch die Leidenschaft outrirt und cari-
kirt wird.
Bewunderungswürdig ist, wie der Druck der letzten Jahrhunderte
doch nicht tiefere Spuren in seinem geistigen und körperlichen Wesen
hinterlassen hat, und er trotz schlechter Regierung und Priesterdrucl:
so viel Schönheit und so viele Talente zeigt. Aber es ist nicht zu ver-
gessen, dass das Mittelalter ihn durch die Kämpfe eines Particularismus,
der ein ganz anderer war als die Fehden unseres Raubritterthums, bis
in's '16. Jahrhundert hinein gebildet hat, dass politische und geistige
Erhebung, wie wir sie in Venedig, in den lombardischen Städten,
Genua, Florenz, Pisa, und in Folge der immensen Kämpfe des Papst-
thums auf kirchlichem Gebiete in Rom sehen, Jahrhunderte hindurch
wirkt; nicht zu vergessen, dass der Abglanz antiker Herrschaft durch
das Papstthum, antiker Kunst durch die alten Denkmäler und die eignen
grossen Meister niemals erloschen ist, dass der Italiener stets den Stolz
fühlte, das erste Kunstvolk zu sein, dem Volk sich also das Gefühl des
Nationalstolzes erhalten hat trotz aller sonstigen Schmach. Seit diesem
Jahrhundert war dafür gesorgt, es aus der Nichtigkeit, in die es trotz
alledem zu verfallen drohte, aufzurütteln. Interessant wird es sein,
das Erwachen der Volkskraft in dem kriegerischen Muth zu verfolgen,