214
Die
lker
der
Neuzei
es kein Volk, das solche Acte der Feigheit und der Verzwcitilung aufzu-
weisen hat; keins auch, das so lächelnd geduldig, ja vergnügt Tyrannei
ertragen hat, um dann plötzlich in 'J"igerwuth aufzufahren und seinen
Bändiger wüthend zu zerknirschen. Bei aller Phantasterci sind die
Franzosen doch wieder Schablonenmenschen. Sie besitzen und üben
gern ihr grosscs Organisationstalent, bringen es aber auch hierin nur
zur l-lalbheit. Sie organisiren ausgezeichnet, messen aber Alles und
bestimmen Alles nach ihrem eignen Schnitt, der meistens anderen
Nationen durchaus nicht passt. Ueber den Franzosen kommt eben
kein Franzose hinaus, so wenig wie ein Grieche aus sich herauszu-
gehen vermochte; 0b e1' mit Irokesen, mit Indern, mit Kabylen und
Beduinen, mit Deutschen oder Engländern oder Spaniern zu thnn hat,
er bleibt sich gleich und fühlt sich im selben Maasse den Sohn der
grossen Nation, die Alles am besten versteht und ein Muster für Alle
sein muss, damit die Welt glücklich wird. Daher ihre lliisscrfolge in
der Golonisirung.
Von den körperlichen Uebungen und Spielen des Volkes ist nicht
viel zusagen. Als gute Fussgänger und Läufer, dann auch als Tänzer
sind sie bekannt. Die ltlarschfähigkeit eines französischen Heeres ist
bei der durchschnittlich kleinen Statur der 'l'ruppen und dem schweren
Gepäck, welches sie tragen, um so auffallender; sie übertrifft die der
Deutschen und Engländer und steht nur der spanischen Leichtfüssigkei t
und Zähigkeit nach. Als Tänzer bewegen sie sich zwischen Extremen,
zwischen den gemessenen und graciösen Pas der Quadrille und den
Sprüngen und Verrenkungen des Cancan oder dem Tollen eines "wilden,
wüsten Wirloelivalzers". Ihre Vergnügungen suchen sie, ausgenommen
im Ballspiel, das sie wohl treiben, hauptsächlich in den geistigen Ge-
nüssen des Theaters, bei welchen sie Pathos oder Komik vorziehen.
Namentlich für die letztere haben sie die grösste Befähigung und den
feinsten Sinn. Auch in der Musik liegen ihre Neigungen auf Seiten der
lüxtrcme. Viel Lärm hat an und für sich schon für den P'ranzosen etwas
Bestechendes. In der Führung der Waffen haben sie sich den Ruhm
erxrorben, den Stossdegen am besten zu führen, eine Waffe, die ihrem
lebhaften und leichten Wesen vortrefflich entspricht. Der Stoss sitzt
so iiink, wie ihr Wort fliegt, während der langsamere Deutsche und
lünglänrlei- zu Antwort und Hieb ausliolt, und meistens derber, aber
nicht eben gefäln-licher dadurch wird. In neuester Zeit hat der Beherr-
scher der Franzosen, der nebenbei bemerkt, wie schon der Ementen-
bändiger Cavaignac, sehr wenig französisches Wesen zeigt, der ver-
schlossene, floskellose, imbewegliche Louis Napoleon hat versucht, seinen
Nordfranzosen Geschmack am Pferderennen beizubringen, was in vielen
Hinsichten zu loben ist. Dass er für die Südfranzosen den Geschmack
seiner spanischen Gemahlin an Stiergefechten begünstigt, ist zu miss-
billigen; dieses blutige, schlächtermässigc Vergnügen möchte aber leider