Der
Franzose.
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Stärke des Gefühls hohles Pathos. Es giebt unter den vielen, ausge-
zeichneten Franzosen Wenige, die nicht übertrieben haben, das Volk
aber im Durchschnitt ist in seinem ästhetischen Eifer nie zufrieden, bis
es sich in die Carikatur geschraubt hat, immer im besten Glauben, nach
dem Schönsten und Vortreflichsteii zu streben. Schliesslieh sieht es
dann seine eigene Verkehrtheit ein und lacht über sich selbst, be-
ginnt aber, vielleicht mit dem Gegensatz, dasselbe Spiel. Keine Nation
kann etwas Besseres thun, als der französischen auf halbem Wege zu
folgen, dann aber dieselbe ziehen zu lassen.
Der Franzose ist geistig ein Spiel von Gegensätzen; so ist er phan-
tastisch und doch wieder kalt berechnend, Tollkopf und Philister, will-
kürlich und dem ärgsten Zwang sich tmterwerfend, jetzt von hoher, im
nächsten Augenblick von niedriger Gesinnung, heute ein Held, mit der
Neigung zum Don Quiehote, morgen ein Livree-Diener kurz immer
über das Maass hinausschiessend.
Ausser in den Künsten, in denen allen er sich auszeichnet, aber
durchschnittlich nicht eher ruht, als bis er den echten Stil, auf dessen
Spur er stets ist, zur Manier gemacht hat und somit blendend auf die
Massen wirken kann, zeigt der Franzose seine ästhetische Bedeutung
besonders in der Beherrschung der Mode, die so recht das Feld seiner
Unbeständigkeit und seiner Sucht nach dem Extrem ist. Wohin haben
unsere Nachbarn uns nicht an diesem Gängelband der Mode geschleppt!
Und seit Jahrhunderten geschleppt! Von dem Stahlrock und der Schnür-
brust zum griechischen Hemdklcide, vom kurzgeschorenen Kopf zur
Alongenperrücke, vom Tricot zur Pluderhose, vom Schwalbensehwanz
zum Sackroek, kurz es giebt nichts Uebertriebenes, was sie äfiisch
nicht schon mit den noch grösseren Affen ihrer Nachahmer in's Werk
gesetzt hätten, von allen sonstigen geistigen und politischen Moden
ganz zu geschweigen.
Der Franzose ist, was seine Gestalt betrifft, von Mittelgrösse, gut
gewachsen, dabei zum Schlanken, Zierlichen neigend. Schwarz oder
braun von Haar und Augenfarbe, verkündet er in jeder Bewegung sein
sanguinisehes Temperament. Er ist gewandt, geschmeidig, elegant;
von der Carikirthcit dieser Eigenschaften bedroht, sucht er sich durch
strenge Form zu schützen, die dann aber leicht in steifen Zwang aus-
sehlägt. Der Schein gilt ihm viel, was ästhetisch sehr bedeutsam ist;
leider gilt er ihm häufig zu viel, nämlich Alles. Mit hohler Form ohne
Wesen kann er sich lange Zeit sehr glücklich fühlen. Von dem Cha-
racter eines solchen Sanguinikers lässt sich eigentlich nichts Bestimmtes
sagen. Alle Tugenden, bis auf die Beständigkeit, und kein Laster giebt
es, was er nicht gezeigt hätte. Kein tollkühnerer Mensch z. B. kann
gefunden werden, Keiner, der so harmlos und seherzend wie ein Kind
blind in die Gefahr und den Tod rennt nnd mit einem Bonmot sich so.
leicht über das schlimmste Missgeschick hinweg setzt, und doch giebt