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Völker
Die
der Neuzeit.
Minnetreibens, der Künste. Die Provence, Nordfrankreich, Deutsch-
land, dann Italien folgen einander wetteifernd. Ucberall ist Regen und
Treiben. Die Kirche selber wird trotz ihrer vielfachen Kämpfe mitge-
rissen, ja schreitet voran Einst, als die politische Einheit im Römer-
reiehe auf die Spitze getrieben war, kam der Umschwung zur Mannig-
faltigkeit durch die Völkerwanderung; jetzt wurde die übermässige,
zum Zwang ausgeartete Einheit der Kirche wieder durch die politischen
Bestrebungen der Völker gelockert und gesprengt.
Wir müssen uns versagen, das ästhetische Leben der Völker des
Mittelalters zu verfolgen; von den Künsten abgesehen, war, was per-
sönliche Bildung betrifft, die ritterliche Erziehung die maassgebende
für die ganze Zeit. Reiterdienst, Fechten und höiisches Benehmen
waren ihre Ziele; eine adelige Zucht, die kein Unrecht zu dulden und
den Schwachen zu schirmen schwor, sollte den Ritter auszeichnen.
Aber bekanntlich schlug das Ritterthum, auf eine hohle Spitze ge-
trieben, bald um; practisehe Interessen bewegten wieder die Welt. Die
alte Unbiiudigkeit, gegen welche die Kirche (lurch die Erödnung wei-
terer Ideenkreise sieh selber machtlos gemacht hatte, brach wieder
(lureh, die Herren, d. h. der Adel, fiel über das Volk her, Jeder suchte
dem Anderen etwas abzuzwaeken. Zuchtlosigkeit, Willkür rissen ein,
besonders in Deutschland, wo die vielfältigen Interessen und die Aus-
nahmestellung seiner Herrscher dieselben verhinderten sich wie die
französischen und anderen Könige als die Löwen in diesem Kampfe
über Mein und Dein zu benehmen. Mit dem Gebrauch des Schiess-
pulvers, dann mit der Eröiihung der grossen Seewege hat das Mittel-
alter sein Ende gefunden. Mit den Thesen des kühnen Mönches von
Wittenberg, der, wie das Monopol der Gewaltherrschaft dem Adel durch
die Muskete genommen ist, den Geistlichen das Monopol der Allein-
seligmachuug und der Geistesherrschaft nimmt, mit ihnen beginnt die
Neuzeit.
Wenden wir uns über die ausgelassenen, wie über die geknebelten,
eingepressten, verzopften Zeiten hinweg zur Jetztzeit, deren Haupt-
völker kurz zu überblicken. Obwohl noch nicht von der Kunst die
Rede gewesen ist, möge es bei den nachstehenden Umrissen doch er-
laubt sein, auch in diese schon hinüber zu streifen.
Der Franzose ist ein halber Grieche, lebhaft, sprudelnd, formfroh.
Aber auch nur ein halber. Seine keltische Natur lässt ihn nicht bis an
das Ziel gelangen, wohin der Hellene vordrang, bis zum Wahrhaft-
Schönen. Sein Geschmack ist entwickelt, aber nicht geläutert. Immer
weiss er, wie er etwas anzufangen habe und fangt mit grossem Ge-
schick an; man meint, er müsse zum Schönen vordringen; da bleibt er
stecken im Zierlichen, Gezierten und Geleckten oder fallt in Uebertrei-
bung; Freiheit wird ihm lWillkür, Ordnung Zwang, Laune Oapriec,
Lieblichkeit Sussliehkeit, Anmuth Ziererei, Erhabenheit Gewaltsamkeit,