Völker
Die
der
Neuzeit.
211
Allen zugesagt. Das Iilarterholz des schmählichsten Sclaventodcs, das
Kreuz, ward zum Symbol des neuen Reiches. In tier 'l'hat musste eine
solche Lehre den Einen ein Aergerniss, den Anderen ein Gräuel oder
ein Spott sein. Aber die Beladenen und Mühseligen horchten dieser
Lehre des Sohnes des Zimmermannes, und so dehnte sie sich immer
weiter aus. Als die grosse Völkeriiuth der Hunnen und Germanien über
die römischen Gränzen (lrängte, da stand die Herrschaft des Christen-
thums, des Geistes über die vergüttlichte Natur fest, da war das
Heidenthum ein besiegter, zum offenen Kampfe völlig ohnmächtigei-
Gegner.
Andererseits bedurfte es der ganzen Naturfrische der neuen Völker,
um den übermässigen, sinnenfeindliclieii Einfluss des (lhristentlnlms zu
hemmen. Wohin hätten es die Zeloten desselben gebracht, wenn nicht
die gesunden Germanen sich dm-ch die Welt ergosseu hatten! Die
Dumpfheit byzantinischer, ägyptischer und syrispher Zustände in der
ganzen abendländischen Welt ein schrecklicher Gedanke! Aber bei
diesen heidnischen ursprünglichen Nationen des Nordens hatte dann
das Christenthum auch nach dem Niederschlag der grosscn Völkertluth,
eine grosse Mission zu erfüllen. Da galt es nicht blos, wie in Syrien,
auf einem Bein zu stehen oder in einer Wüste als Anachoret zu leben
und das Fleisch abzutödten, sondern in die Wälder zu ziehen, den
Heiden zu predigen, Bäume auszureuten, Sümpfe zu entwässern, zu
bauen, zu lehren und was nun die Arbeit der christlichen Missionare.
namentlich der Mönche, dieser damaligen Geistes-Pionire der Wildniss
gewesen ist.
Es ist unmöglich, hier das Mittelalter nach seiner ästhetischen
Wichtigkeit erschöpfend zu behandeln oder auch nur in grossen Zügen
seine Wandlungen zu verfolgen. Genug, dass das Christenthum Jahr-
hunderte lang nur bändigend und sogar unterdrückend gegen die Sin-
nenwelt auftrat, dass es aber in jedem Lande, je nachdem es den Feind,
das Heidenthum verdrängte, mehr und mehr in dessen Verlassenschaft
einzog, soweit diese ihm oder dem Volke besonders anstand. Zur Zeit
der Kreuzzüge und durch sie schlägt dann endlich die heitere Sinnen-
welt wieder durch. Da waren auch im maassgebendeu Theil des Nor-
dens die Heiden getauft und im Innern der abendländischen Christenheit
gab es keinen Feind zu bekämpfen. Nun mussten sich die Zügel
lockern, und dazu war ein Gegner, der Ideen verfocht und bekämpfte,
im wunderbaren Morgenland aufgestanden. Ein neuer Geist, der sich
wohl schon hatte vernehmen lassen, aber noch gegen die Kirche unter-
legen war, brach sich jetzt Bahn, weil er im Anfange gerade mit dem
Geistesthum der Kirche Hand in Hand ging. Von ihr selber geweiht
stand er bald auf eigenen Füsseil. Vom Beginn der Kreuzzüge datirt
die farbenfrohe Zeit des Mittelalters, der Durchbruch der Nationalität
im Leben und Denken; es beginnt die Zeit des Ritterdienstes, des
14'