8 Begrilf der Aesthetik.
(lammungsurtheil aussprechen wollte. Keine Phase ist unwichtig. Wer
das Ganze übersieht, der weiss, dass Nutzen und Schaden ineinander-
waehsen wie das Sehlangenpaai" in Dante's Hölle, nur dass sie ein
freundlicheres Bild geben. Wie der Pendel so weit zur Linken wie zur
Rechten über die Senkrechte hinausschwankt, dadurch aber gerade die
Bewegung der Uhr erhalt und den Fortgang der Zeit verkündigt, so
weisen auch jene Geistesströmungen zwischen Extremen auf erfreu-
lichen Fortschritt, so lange das Streben nach der Wahrheit die Trieb-
kraft des Ganzen ausmacht. Ging die Bewegung der Gemüthei- in den
Zeiten der Aufklärung bis an die Gränzen des Flachen und in das
Flache hinein, so führte die nothwendige Rüekbewegung bis zum Ver-
senken in bodenlose Tiefen der Speculation oder der Gemüthsinnigkeit.
Aus diesen flüchteten die durch Speeulation oder Schwärmerei über--
sättigten Geister wieder zum Positiven. Die -Naturwissenschaften vor
Allem mussten zum Gegengewicht dienen; Erfahrung allein sollte den
Ausschlag geben. Wo ein speculatives Streben sichtbar wurde, da war
die Menge jetzt ebenso kopfscheu, wie sie sich früher enthusiasmirt
gezeigt hatte. Aber auch diese Hochtluth des Glaubens, dass nur bei
den sogenannten strengen ErfahrungsWissenschaften das einzige Heil
sei und jedes speeulative Denken zur Verirrung führe, beginnt allmalig
zu verlaufen; wir nähern uns einer den Extremen gegenüber maass-
vollen Zeit. Genug darin der Gegensätze, der Spannungen, um die
Lebendigkeit, die kräftige Bewegung zu erhalten, aber auch genug
darin der harmonischeren Geistesstimmungen, der schönen Empfindung,
des Dranges nach der Wahrheit und des edlen Strebens, des in Selbst-
entsagung hoohherzigen Wollens. Wir stehen in einer bedeutenden
Zeit. Grosses liegt vor uns, nach jeder Richtung winken hohe Ziele.
Hinter den Höhen lauert der Fall, aber wenn Bedacht zum Muth und
zur Kraft kommt, so werden wir siegreich emporschreiten.