Volltext: Populäre Aesthetik

der Vergessenheit zu schützen, der Nacheiferung sie hinstellend. Der 
Triumph, der aus dem Siege erwuchs, ist bekannt. Eine höhere Ehre 
war nicht zu erlangen. Wie sehr sie geschätzt wurde, mag die Erzäh- 
lung verdeutlichen, dass Philipp von Macedonien zugleich mit der 
Nachricht von der Geburt seines Sohnes Alexander die Nachricht von 
dem Siege seines Viergespanns in Olympia und einer grossen gewonne- 
uen Schlacht über die Illyrier bekommen habe. Ein Thronerbe, eine 
Schlacht und ein olympischer Sieg werden einander gleichgestellt. 
Auch die Ausartungen blieben natürlich nicht aus. S0 lange die 
Gymnastik die allgemeine Körperbildung bezweckte und den Streiter 
des Schlachtfeldes im Auge hatte, war sie uuübertrelflich. Sie sank, 
sobald man sich auf Einzelheiten warf und ein Gewerbe aus ihr machte, 
sobald man sie nicht mehr zum Wohle des Staates, zur allgemeinen 
Bildung trieb, sondern als ein aller höheren Ideen entbehrendes Hand- 
werk. Die Gymnastik ward verdrängt durch Athletik, wo Kraft um 
der Kraft willen geübt wurde, zu welchem Behufe der Kämpfer sich 
zum halben Thiere herabtrainirte. Der Standkämpfer suchte durch 
übermässiges kräftiges Essen und durch vielen Schlaf, sowie durch Ver- 
meidung jeder Aufregung, auch jeder geistigen, seine Körperkraft auf 
den höchsten Grad zu treiben. Dass er bei einem solchen Leben  die 
Vorübungen zu den grossen Spielen dauerten zehn Monate  stumpf, 
träge, schläfrig und zu Krankheiten neigend werden musste, versteht 
sich. S0 ward der kräftige Coloss das unbrauchbarste Geschöpf ausser 
für den Augenblick des Kampfes. "Die Athleten," sagt Plato, gegen 
die Athletik eifernd, "sind sehr schläfrig und in beständiger Gefahr 
wegen der Gesundheit, weil sie ihr Leben verschlafen, und sobald sie 
nur im mindesten die Grenzen der vorgeschriebenen Lebensart über- 
schreiten, grosse und heftige Krankheiten auszusteheu haben, während 
doch kriegerische Streiter einer anderen Lebensart bedürfen, da sie ja 
gleich Schutzhunden wachsam sein und so scharf als möglich sehen und 
hören und dazu beim Heere sich häufiger Veränderungen in Speise und 
Trank gefallen lassen und Hitze und Kälte erdulden müssen, so dass 
daher ihre Gesundheit nicht sehr zärtlich sein darf." Andererseits 
artete das leichte, gewandte Benehmen in übertriebene Zierlichkeit und 
ein äffisches, studirt-komödiantenhaftes Wesen aus. 
Aber wenn die Sünden der Väter, der ewigen Haderer unterein- 
ander, bei den hellenischen Stämmen wuehernd forterbten, so erbten 
doch auch ihre Tugenden viele Generationen hindurch fort. Darunter 
nicht zum frühesten verlöschend die Tugend der Schönheit. Denn 
diese, die ihren Cultus bei dem Schönheitsfeste an den Panathenäien 
gefunden hatte, war eine Tugend, eine Errungenschaft edlen Menschen- 
thums, nicht blos ein blindes Geschenk der Natur. 
Suchte der Grieche sich zu einem in plastischer Abgeschlossenheit 
erscheinenden Kunstwerk zu machen, so war der Römer ein Mann des
	        
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