Volltext: Populäre Aesthetik

Die 
G riechen. 
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ganz über-füllen können und er also in beständigem Quinqueliren und 
sich ganz dem Reiz des Gesanges ergebend, sein ganzes Leben ver- 
bringt, so wird freilich die erste Wirkung sein, dass, wenn er etwas 
von heftiger Gemüthsart hatte, dasselbe gleich einem Eisen erweicht 
und brauchbar wird, da es vorhin durch seine Unbiegsamkeit unbrauch- 
bar war: wenn er aber kein Ende macht, dieser Sache naehzuhängen, 
sondern mit heisser Lust dabei beharret, so wird alles Uebrige zer- 
schmelzen und zertiiessen, bis jeder Tropfen Muthes ausgeronnen ist 
und bis seiner Seele gleichsam alle Sehnen ausgeschnitten sind und er 
zum Weichling im Kämpfen geworden ist. Und wenn er von Anfang 
an ein muthloses Naturell gehabt hat, so wird er dieses sogleich he- 
wirkt haben; war er hingegen von Natur heftigen Muths und er ent- 
kräftet den Muth, so macht er ihn dadurch schnell herausfahrend, dass 
er über Kleinigkeiten ebenso augenblicklich zänkisch als auch wieder 
ruhig wird. Solche Leute werden daher statt herzhafter gallsüchtig 
und zornmüthig und sind voll bösen Eigensinnes. Wie aber, wenn 
Jemand auf der anderen Seite sich sehr in der Gymnastik anstrengt und 
es im Schmausen trefflich weit bringt, die lilusenkilnst und Philosophie 
hingegen mit keinem Finger anrührt, wird dann zwar anfangs sein 
Körper nicht sehr gestärkt und er mit Lebensgeist und Muth angefüllt 
und kühnmuthiger werden als er vorhin war? Glaukon: Ja, sehr. So- 
krates: Was aber weiter. Wenn er weiter nichts treibt und sich mit 
keiner einzigen Muse auf keine Weise befreundet, wird denn nicht, 
wenn auch etwas von Lernbegierde in seiner Seele war, dasselbe, weil 
es weder irgend eine Kunst und "Wissenschaft geschmeckt, noch im 
[lntersuehexi sich geübt hat, noch vernünftiger Unterredungen theil- 
haftig geworden ist, noch sonst etwas von der Musenkunst genossen 
hat, nicht ohnmächtig und taub und blind werden, weil die inneren 
Sinne eines solchen Menschen weder aufgeweckt noch genährt, noch 
gereinigt sind? Aus einem solchen Menschen wird also, wie ich glaube, 
ein Feind vernünftiger Unterredungen und ein Musenloser. Der Ueber- 
redung durch Gründe wird er sich von nun an im geringsten nicht 
bedienen, sondern er setzt Alles durch mit Gewalt und Wildheit, wie 
eine Bestie, lebt rüde und in Unwissenheit, ohne gemessene Ordnung 
und Anmuth. Glaukon: So steht es auf alle Weise mit ihm. Sokrates: 
Zu diesen beiden Zwecken nun, wie wir sie sehen, hat, wie ich wohl 
sagen möchte, eine Gottheit den Menschen zwei Künste geschenkt, die 
Musik und Gymnastik zur Vereinigung des Herzhaften und philosophi- 
schen Sinnes, nicht das eine für die Seele, das andere für den Körper, 
ausser dass sie beiläufig hiezu mit dienen, sondern zu dem Zwecke, 
damit diese beiden Dinge mit einander in Harmonie gebracht werden, 
indem man sie bis zu einem schieklichen Grade entweder verstärkt 
durch Spannung oder durch Nachlassung schwächt. Wer also die 
Gymnastik mit der Musik aufs Vollkommenste vermischt und sie im
	        
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